BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Faszinierendem barg.
Die abstrusesten und unheimlichsten Gedanken hatten ihn seinerzeit angesprungen, waren wilden Tieren gleich über sein Denken hergefallen, als er die Hütte vor mehr als Jahresfrist gefunden hatte. Seine Phantasie, angestachelt von der ohnehin schon gespenstischen Umgebung, hatten die grausigsten Gestalten geboren, die ein kleiner Junge nur zu ersinnen vermochte. Eine hässliche Hexe und ein riesenhafter Voodoo-Priester hatten noch zu den harmloseren möglichen Bewohnern gezählt, auf die Levar damals zu treffen befürchtet hatte.
Die Wahrheit war anders gewesen – im Grunde nicht einmal weniger schrecklich, nur
anders
...
Zunächst hatte er die Hütte für verlassen gehalten. Nicht einmal Levar, der Luxus allenfalls vom Hörensagen kannte, hatte sich vorstellen können, dass irgendein Mensch bereit sein konnte, in einer solchermaßen spartanischen Behausung zu leben. Dazu war der Gestank nach Fäulnis und allen möglichen anderen Dingen gekommen, so übel, dass jeder Atemzug Überwindung kostete.
Seine nächste Entdeckung hatte Levar annehmen lassen, dass der Bewohner der Hütte gestorben war. Vor einiger Zeit bereits, so dass sein Leichnam zu dem Gestank in der Kate beitrug.
Reglos hatte der Alte in einem Schaukelstuhl gesessen, in einem fast völlig finsteren Winkel der Hütte. Der Junge war nur deshalb auf ihn aufmerksam geworden, weil der Mann die Augen nicht geschlossen hatte und seine Augäpfel zwei kleinen Lichtern gleich in der Schwärze glänzten. Bis sie wie Lampen erloschen waren – weil der »Tote« die Lider geschlossen hatte. Dafür wurde ein gespenstisches Knarzen laut, als der Stuhl sacht zu schaukeln begann...
Diese Begegnung war der Anfang einer wunderbaren Freundschaft zwischen einem alten Mann und einem kleinen Jungen geworden, die damals nicht mehr gemein hatten als die Farbe ihrer Haut.
Heute teilten sie auch andere Dinge.
Geschichten. Wissen. Geheimnisse.
Und mehr...
Wie immer, wenn Levar nur noch ein paar Schritte von der Hütte entfernt war, stieg ein Gedanke in ihm auf, der sein Herz vor Beunruhigung schneller schlagen ließ und ihm das Atmen schwermachte: Würde heute nun tatsächlich ein Toter im Schaukelstuhl sitzen...?
Zefrem war nicht einfach nur alt, er war
uralt
in einem Sinn, dass Levar sich die Zahl seiner Lebensjahre nicht einmal ansatzweise vorzustellen vermochte. Und es war nicht nur jeder Tag ein Wunder, den Zefrem noch erlebte, sondern fast schon jede Stunde.
Irgendwann, das wusste der Junge, würde er den Alten wirklich tot vorfinden bei seinem Besuch. Und dieser Tag – oder vielmehr diese Nacht – konnte nicht mehr in allzu weiter Ferne liegen. Nach menschlichem Ermessen...
Die Tür zu öffnen, bedeutete für Levar auszuschließendes einen Kraftakt. Die feuchte Sumpfluft hatte die dunklen Bohlen aufgequollen und verzogen, so dass die Türkante schwer über den Boden schleifte. Der Junge schaffte es, sie gerade weit genug aufzustemmen, dass er durch den schmalen Spalt schlüpfen konnte. Dämmerlicht und Leere nahmen ihn auf.
.Nichts regte sich, soweit die Blicke des Jungen reichten. Aber das musste nicht unbedingt etwas bedeuten, denn Finsternis füllte die Winkel der Hütte mehr als großzügig, und in ihrem weiten Mantel konnte sich alles Mögliche verbergen.
»Zefrem?«
Levars leiser Ruf tropfte in die Stille. Doch er blieb unbeantwortet. Sekunden reihten sich aneinander, fast zu einer Minute, dann hörte der Junge etwas. Keine Stimme jedoch, sondern einen Laut, von dem er sich nicht einmal ganz sicher war, ob er in der Hütte aufklang.
Etwas wie ein Quietschen. Das Fiepen eines Tieres, einer Sumpfratte vielleicht. Und unzweifelhaft war es der letzte Laut, den die Kreatur in ihrem Leben ausgestoßen hatte...
Erst nach weiteren Sekunden geriet Bewegung in die Schwärze in einer der Ecken. Ein nur unwesentlich hellerer Schatten schälte sich heraus und schien erst mit dem Schritt, der ihn in das einfallende Streulicht des Mondes brachte, menschliche Kontur anzunehmen.
»Du kommst spät heute«, sagte Zefrem. Seine Worte raschelten und rochen wie schimmliges Brot in einer Papiertüte.
Levar zuckte entschuldigend die Schultern.
»Mein großer Bruder hat von meinen Ausflügen Wind bekommen. Er möchte nicht, dass ich mich nachts draußen herumtreibe. Ich musste warten, bis er eingeschlafen war.«
»Weiß er denn, dass du mich besuchst?«, fragte der Alte.
Levar schüttelte den Kopf.
»Nein«, erwiderte er grinsend. »Jake würde
Weitere Kostenlose Bücher