BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
fortführen wie ehedem.
Vielleicht kam ihnen auch ihre geringe Zahl zugute. Die Angehörigen der Alten Rasse, wie sie sich selbst nannten, waren in New Orleans an den Fingern zweier Hände abzuzählen. Der erste von ihnen, ein französischer Adliger, war kurz nach der Gründung der Stadt im Jahre 1718 in den Stand der Unsterblichkeit erhoben worden, und hernach durften zehn Kinder den Keim endlosen Lebens mit seinem Blute trinken.
Um ihre Zahl zu mehren, reichte die Zeit jedoch nicht mehr. Denn das Unheiligtum der Vampire, das sie den Lilienkelch hießen, verschwand auf unerklärliche Weise, kaum dass New Orleans das zehnte Jahr der Gründung begehen konnte.
Doch nur aus dem Kelch konnte neues Leben für die Alte Rasse fließen. Der Hüter, dessen Name und Gesicht kein Vampir kannte, reiste mit dem Artefakt um die Welt und besuchte die Sippen, auf dass deren Führer ihr Blut in den Lilienkelch gaben und geraubte Menschenkinder die Ewigkeit daraus empfingen.
So blieb dem uralten Volk, das der eigenen Legende nach die Menschheit seit Anbeginn aus dem Dunkel heraus regierte, echter Nachwuchs fortan versagt. Und die »Lebenden« mussten Vorsicht in noch stärkerem Maße lernen, wollten sie ihre Herrschaft und ihren Anspruch auf Ewigkeit nicht leichtfertig aufs Spiel setzen. Denn mochten sie auch unsterblich sein – der Tod verschmähte sie dennoch nicht, wenn sie sich seiner Sense unbedacht in den Weg stellten.
So war also auch vampirisches Leben nicht frei von Gefahren und Schwierigkeiten. Und allen Regeln und Gesetzen zum Trotz, die im Laufe von Jahrtausenden entstanden waren und die das Leben der Alten Rasse ordneten, erwuchsen ihr mitunter die ärgsten Probleme aus den eigenen Reihe. Stets dann, wenn einzelne den tarnenden Mantel der Heimlichkeit abstreiften und offen zur Schau stellten, wes finsteren Geistes Kind sie wirklich waren...
Geromes Seufzen wehte in die Nacht hinaus.
Die schlanken Hände auf das schmiedeeiserne Balkongeländer gestützt, sah er hinab auf die Straßen des Vieux Carré. Weder der Nebel, in den sich der eigentlich in Sichtweite gelegene Mississippi hüllte, noch der Regen wirkten sich auf das Treiben in den Straßen und Gassen zu den Füßen des Vampirs aus. Temperamentvolle Cajun-Musik drang allerorten aus den Tavernen und belebte die Nacht und die Menschen gleichermaßen.
Gerome versuchte sich am Widerhall des Pochens, das dort unten in Hunderten von Adern klang, zu berauschen. Vergebens. Nichts konnte ihn die Schwere jener Bürde, die in diesen Tagen auf seinen Schultern lastete, vergessen lassen. Er musste sich selbst davon befreien; es war seine Pflicht als Blutvater der New Orleans-Sippe. Doch er konnte es nicht – nicht ohne den Kodex der Alten Rasse zu brechen...
Oder »heiligte« der Zweck die Mittel in einem solchen Fall?
Gerome wusste es nicht.
Und so wartete er auf jenen, der es ihm vielleicht sagen konnte...
Gerome verließ den Balkon und ging durch das prunkvoll ausstaffierte Zimmer, dessen Nutzung allein ihm vorbehalten war. Dem leblosen Körper des Kreolenmädchens, das mit verdrehtem Hals auf den seidigen Laken des Bettes lag, gönnte er nicht mehr als einen flüchtigen Blick, in dem Ärger aufblitzte. Nicht einmal sie hatte ihn für eine Weile abzulenken vermocht...
Auf der Galerie jenseits der Tür blieb er stehen.
Unten in der Schenke florierte das Geschäft. Männer jeden Alters und aus allen Schichten der Gesellschaft amüsierten sich mit Mädchen, die allesamt derselben Branche angehörten. Das schrille Lachen der Huren mengte sich mit dem Klirren der Gläser und den rauen Stimmen der Freier.
Auf Höhe der Galerie, die den Schankraum als Geviert umlief, hing Tabaksqualm wie eine dicke Wolkendecke am spätwinterlichen Himmel. Rings um Gerome her drückten sich Pärchen gegen das Geländer und die Wände, darauf wartend, dass eines der Separées frei wurde. Währenddessen gaben sie sich schon hier draußen dem Vorspiel hin.
Gerome hasste die plumpe und ruppige Art, in der die geilen Kerle die Weiber betatschten. Sie hatten weder Kultur noch Lebensart, wussten offensichtlich nicht, dass der Genuss jener vermeintlich höchsten Lust schal schmecken konnte im Vergleich zu dem, was man ihm vorausschicken konnte – wenn man sich darauf verstand.
Doch es musste den Vampir nicht kümmern. Im Gegenteil, je kürzer der Weg, den die Freier zum Gipfel der Leidenschaft wählten, desto größer war sein Profit – weil seine »Kapazitäten« schneller frei
Weitere Kostenlose Bücher