BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
Kehlen wehte durch die Flure des Palazzos. Spitze Schreie zeigten, dass irgendwo der Gipfel der Lust erstürmt worden war.
Dennoch leerte sich die Empfangshalle nicht. Die Zahl der Menge schwankte lediglich, und das an und abschwellende Raunen der Stimmen veränderte sich in seinem Volumen kaum, als versuchten jene, die hier zurückblieben, den Verlust auszugleichen, indem sie einfach lauter sprachen.
Doch dann erstarben sie – mit einem Mal, alle zugleich.
Tinto erstarrte in grotesker Haltung – eine rothaarige Schönheit lag zurückgebeugt in seinen Armen, weil sie ihm ausgewichen war, als er (noch) spielerisch nach ihrem schlanken Hals geschnappt hatte...
Ihr Kichern war das einzige Geräusch, das blieb, und es klang in der sonstigen Stille überlaut, schmerzte fast in den Ohren.
Tinto setzte ihm ruppig ein Ende, während er sich schon umwandte.
Die Menge teilte sich, wie es weiland das Rote Meer vor Moses' Stab getan haben mochte.
Eine einzelne Gestalt schritt in dem Spalier einher, klein und unscheinbar und völlig fehl am Platze – und doch wirkte jede seiner Regungen und Bewegungen auf absurde Weise bedrohlich.
Der Vampir ging dem neuen »Gast« entgegen, begleitet von Blicken aus Dutzenden von Augenpaaren, in denen Unmut und Verwirrung sich die Waage hielten.
»Was suchst du hier?«, fragte Tinto streng, aber unüberhörbar auch verunsichert.
»Dich«, antwortete Gabriel.
Im Kelch...
... schrie Nehru!
Aber es war nicht Schmerz, der ihn quälte. Sondern allein die Erkenntnis dessen, wozu er verdammt worden war.
Des »Schlafes« beraubt, der ihn bislang vor diesem Wissen beschützt hatte, erkannte er nun, was ihm angetan worden war. Erfuhr, was es hieß, gestorben und doch nicht tot zu sein. Was es bedeutete, zwischen den Welten gefangen zu sein – körperlos, nur Geist und...
... ALLEIN!
Allein?
Nehru suchte in der Schwärze – blind und taub – nach jener Kraft, deren Trost er »schlafend« gespürt hatte.
Wo war sie? Verschwunden?
Nein, sie war noch da. Doch sie offenbarte sich der Kelchseele nun ganz anders, zeigte ihr wahres Gesicht, das sie bisher hinter der Schwärze verborgen gehalten hatte. Sie brach aus der Finsternis hervor, explodierte darin, zerriss den tarnenden Kokon.
Die grenzenlose Güte, die Wärme, die bedingungslose Liebe, die Nehru zuvor daraus erfahren hatte – dies alles verging. Machte etwas Platz, für das ihm nur ein Begriff einfiel:
Zorn!
Doch es war keine schlichte Wut, wie Nehru sie selbst zu Lebzeiten kennengelernt hatte.
Dies hier war der Zorn eines...
Gottes?
Die Erkenntnis stand in völligem Widerspruch zu dem, was seine Mutter einst aus jenem Buch vorgelesen hatte. Stets war da von einem gütigen, liebenden Gott die Rede gewesen...
Nehru, die einzige im Kelch verbliebene Seele, fand keine Gelegenheit, dies alles weiter zu ergründen.
Die Kraft um ihn her entfachte einen Sturm, ließ die Schwärze brodeln und kochen.
Und in diesem Tosen erfuhr Nehru alles: die Hintergründe, die Beweggründe – den Plan eines zornigen Schöpfers...
Das Wissen stürmte binnen einer nicht messbaren Zeitspanne auf ihn ein. Doch blieb ihm nicht genug Zeit, es zu verarbeiten.
Denn die tobende Kraft fuhr aus dem Kelch Ð und riss die einzige Seele darin mit sich.
Hinaus. Dorthin, wo sie eine neue Heimstatt finden sollte. Doch es warteten derer mehr als nur eine.
Nehru hing körperlos im Nichts, erspürte ein Dutzend verschiedener Richtungen, in die es seine Seele zog und zerrte. Überall dort harrte Leere darauf, beseelt zu werden.
Und Nehrus Seele –
– zersplitterte! Zerriss unter dem Sog seelenloser Toter, die jeder ein Stück seines Ichs für sich beanspruchten.
Und erhielten.
Zwei Stimmen schrien aus einem Mund.
Timot, der Vampir, unter dem brachialen Ansturm des heiligen Zornes des
Verhassten
.
Sahya Patnaik, der »Erwecker«, unter der Erkenntnis, nur benutzt worden zu sein.
Der Kelch hatte kein Geheimnis geborgen. Keines jedenfalls, dass sich einem Nekromagier erschlossen hätte. Etwas hatte darüber gelegen, einer schwarzen Membran gleich, und ihr Zweck war es gewesen, im Zaume zu halten, was sich darunter verbarg.
So lange, bis irgendein Frevler sich als närrisch genug erwies, das »Siegel« zu brechen – und die zornschwangere Kraft dahinter zu befreien.
Der Lilienkelch hatte den Tod über die Sippen gebracht. Doch dies war nur ein Teil der Konditionierung des Grals gewesen.
SEIN Plan hatte sich darin noch nicht
Weitere Kostenlose Bücher