BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
was er preisgab, im Zeitraffertempo nacherlebte.
Mit rauchiger Stimme fuhr er fort: »Eines Tages bemerkten wir – beziehungsweise Makootemane, der den innigsten Kontakt zu unserem gefiederten Totem pflegte –, dass der Adler den Ansturm so vieler mit dunkler Energie überladener Ströme auf Dauer nicht schadlos bewältigen konnte. Der Ur-Adler begann zu verkümmern. Es ging soweit, dass er die Nahrung verweigerte, die bei ihm – es mag dich verwundern oder nicht – aus dem Blut
seiner
Artgenossen bestand.
Spätestens dieser Moment öffnete uns die Augen, wie zweifelhaft unser Sieg über das Böse war. Wie leicht zu erschüttern. Aber wiederum war es Makootemane, der uns einen Ausweg wies. Vielleicht inspirierte ihn auch der Ur-Adler; niemand weiß es mehr so genau. Jedenfalls begannen wir unverzüglich damit,
sterbliche
Adler aus der Umgebung des Dorfes einzufangen und für unsere Bedürfnisse heranzuziehen... Was für Bedürfnisse das waren, kannst du dir denken.
Zunächst überwogen die Zweifel, ob 'normale' Adler uns geben konnten, was der Ur-Adler uns gab. Aber es bedurfte nur eines innigen Umgangs und der wirklichen
Bereitschaft
, um auch mit deren Seelen zu verschmelzen. Die Katharsis, in der wir von da an das Dunkle in uns auf unsere Seelenvögel abluden, unterschied sich nur unwesentlich von der Art und Weise, wie wir es zuvor in Verbindung mit dem Ur-Adler getan hatten. Aber während der Übergangszeit gab es Vorfälle, die uns die Augen öffneten,
wie
abhängig wir von dieser intakten Verbindung sind...«
»Vorfälle?«, fragte Heaven. Sie hatte das Gefühl, dass Hidden Moon nach einer langen Einführung erst jetzt auf das Eigentliche zu sprechen kam, was ihn bedrückte.
»Ja«, sagte er. »Einige von uns fielen in alte Denk- und
Jagd
muster zurück. Viele unschuldige Menschen starben grausame Tode, ehe wir uns selbst wieder genügend im Griff hatten.«
»Du auch?«, fragte Heaven.
»Ich auch«, sagte Hidden Moon.
»Ich verstehe – verstehe, was ich dir wirklich angetan habe. Hätte ich geahnt, welche Bedeutung der Adler tatsächlich für dich hat...«
»Du wurdest
angegriffen
. Du hast getan, was ich an deiner Stelle auch getan hätte.«
»Das entschuldigt es nicht.«
»Das zu entscheiden musst du schon mir überlassen.«
Der Klang seiner Stimme versicherte ihr, dass er meinte, was er sagte. Dennoch fühlte sich Heaven dadurch nicht im mindestens rehabilitiert. Außerdem konnte sie sehr gut
zwischen
den Zeilen lesen. »Wie lange wird es dauern, bis dir Nachteile aus dem Verlust des Adlers erwachsen?«
»Es wird sehr bald sein, aber wenn es geschieht, werde ich es nicht mehr als Nachteil empfinden«, erwiderte er.
»Nur deine Umwelt?«
Als er schwieg, zeigte sie auf das tote Bündel im Sack. »Kommen wir
darauf
zurück. Wenn es nicht dein Adler ist, welcher dann? Und warum sollte ich ihn sehen?«
Das Schwarz seiner Augen schien sich noch mehr zu verdichten. Ȇber die Jahrhunderte hatte ich ein Dutzend Adler.
Sie
waren sterblich – ich nicht. Mit der Zeit lernte ich – wie meine Brüder und Schwestern – mich schneller in ihre Psyche hineinzuversetzen, um den
Kontakt
aufzubauen. Diesmal jedoch...«
»Diesmal?«
»Als ich es heute versuchte«, sagte Hidden Moon, »geschah, was noch nie geschehen ist.«
»Was?«, drängte Heaven, und als Hidden Moon antwortete, hörte sie die Verzweiflung darin wie einen ins Grau des Tages geschrienen Hilferuf.
»Mein Ansinnen brachte ihn um...!«
»Er sieht nicht aus, als wäre er an einem Herzschlag gestorben...«
Während Heaven den Kadaver im Jutesack zur Sprache brachte, teilte ihre Hand, von Hidden Moon unbemerkt, das Haar im Nacken des Arapaho. Der dortige Flaum bestätigte eine Verwandtschaft zwischen Indianer und Adler, die weit über das rein Geistige hinausging.
Gefieder
... Gefiederflaum Spross aus der Haut!
Heaven unterdrückte ihre Überraschung, zumal die Entdeckung nichts Monströses an sich hatte.
»Nein«, hörte sie Hidden Moon flüstern. »Gewalt war im Spiel... Und ich wünschte, ich könnte sagen, wie es dazu kam. Ich habe keine Erinnerung und keine Erklärung...«
Seine Fassungslosigkeit sprang auf Heaven über. »Dann stammt das Blut, das an dir klebt, von ihm?«
»Natürlich.«
»Aber...«
»Ich kann es doch selbst nicht erklären!«, brach es aus Hidden Moon hervor. Er bückte sich. Seine Hand tauchte hinab und hob den Leichnam des Vogels hoch, damit sie die Verstümmelungen noch deutlicher sehen konnte.
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