BAD BLOOD - Gesamtausgabe: Die Saga vom Ende der Zeiten (über 3000 Buchseiten!) (German Edition)
dem, was der Herr dieses Hauses in unerreichbarer Perfektion zelebrierte...
Das Gebäude ruhte wie ein kalter, stiller Klotz in der Nacht. Seine Fenster waren dunkel, finster wie die darin wohnenden Seelen.
Oyster klopfte mit der Faust gegen die Türfüllung des Portals. Das entstehende Geräusch war lächerlich gering, als würde das Holz alles schlucken. Doch dann schwang einer der Torflügel auf, und eine sphärische, aus der Luft kommende Stimme bat Oyster herein.
Niemand wartete hinter der Schwelle. Oyster trat in eine leere Halle.
»Sie liegt im Roten Salon...«
Die Wände waren kahl, der Boden abgetreten. Überall herrschte peinliche Sauberkeit – aber sie verstärkte nur die Trostlosigkeit.
Bei seinem
jungfräulichen
ersten Besuch hatte Oyster die Pracht der Einrichtung auch gesehen, wie sie die Partygäste noch heute erlebten. All den Prunk, auf den der Herr des Hauses für sich selbst verzichtete und den er nur seinen geladenen Gästen vorgaukelte.
Oysters Sinne waren dafür nicht mehr empfänglich. Er durchschritt die leeren Korridore, bis er die Tür des Salons erreichte, hinter der...
»Wie lange dienst du mir eigentlich schon, Trevor?«
Oyster blieb stehen. Er blickte auf seine Hand, die den Türknauf umklammert hatte. Im ersten Moment sah es aus, als würde der Knauf sich verändern... aber es war seine
Hand
, die wuchernd entartete...!
Ohne Panik, aber zutiefst verwirrt sagte Oyster: »Fast auf den Tag zehn Jahre.« Erst als er die Frage beantwortet hatte, brach es aus ihm hervor: »Was...? – Ich...«
»Du riechst«, sagte der sanfte Schwall von Tönen, der von überall zugleich auf ihn einzustürzen schien. »Du bist
auffällig
geworden in den Jahren, Trevor, wie schade. Aber was sage ich? Du weißt selbst, wie weh dir die Sonne tut. Wie schlimm die Schmerzen sind, wenn du am Tag von jemandem gerufen wirst. Sie beginnen sich zu wundern, die braven Leute dieser Stadt. Wie oft haben Sie dir in den letzten Monaten gesagt, dass du krank aussiehst, Trevor? Ungesund. Sie glauben, dass du bald sterben wirst, innerlich zerfressen von einer der Krankheiten, die ihnen selbst so große Angst macht...
Wenn sie wüssten, dass dein Problem von
außen
kommt. Von etwas, was sie mögen, wonach sie sich nach jedem langen Winter sehnen: warmes Licht. Heller Sonnenschein. Wenn sie es nicht übertreiben, weckt die Sonne ihre Lebensgeister... Bei dir geschieht das Gegenteil. Ich habe lange darüber hinweggesehen – in Anbetracht deiner Verdienste. Aber nun ist es Zeit...«
»Zeit?«, echote Oyster.
»Stell die Urne auf den Boden.«
Er konnte gar nicht anders, er
musste
gehorchen. Nachdem er es getan hatte, verwandelte sich auch seine andere Hand.
Und tat, was sie wollte.
In einer Mischung aus Faszination und lähmendem Schrecken beobachtete Oyster, wie sich die Spitze des Pflocks auf seine Brust setzte – genau über dem toten Herzen. Währenddessen holte die andere Hand, die die Form eines Hammers angenommen hatte, auch schon aus.
»Nein!«, rief der Inhaber von
Oyster Funerals
. »Neeeeiii...!«
Der Schrei brach ab.
Oysters Körper wurde von blauen Blitzen umtanzt. Sein Fleisch brach auseinander wie eine trockene Ackerscholle unter einem Stiefeltritt. Der Hammerarm schwang durch die Luft und trieb die Pflockhand noch tiefer in die Brust, obwohl dies schon nicht mehr nötig gewesen wäre.
Fassungslos starrte Oyster auf das, was er sich antat.
Dann zerfielen seine Augen in den Höhlen. Staub rieselte. Sein Haar kräuselte sich und fiel aus. Die Zähne lösten sich aus dem Zahnfleisch... und wurden auch zu Staub.
Wie Oysters Knochen. Wie sein Fleisch... seine langen Fingernägel...
Das einzige, was zunächst blieb, waren seine Kleider und Schuhe. Aber dann schoss von irgendwoher ein Blitz in das hingesunkene Bündel. Es fing Feuer und verwandelte sich in Ascheflocken. Asche und Staub, die wie von selbst den Weg in die von Oyster mitgebrachte, schlichte Urne fanden...
Kurz darauf öffnete sich die Tür, und eine Gestalt trat aus dem Roten Salon. Sie war jung und unverbraucht, aber ihre Dynamik täuschte ein wenig über die beiden noch frischen, dunklen Wundmale hinweg, die daumenbreit auseinanderstehend am Hals von Oysters Nachfolger glommen – aber bereits zu verblassen begannen.
Bis zur völligen Unsichtbarkeit...
New Jericho
Hidden Moon hatte kurz das Zimmer verlassen, durch dessen Fenster fahles Frühlicht einfiel, und Heaven stand immer noch ganz im Bann der schwarzen Träne.
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