Bad Fucking
erinnerten nur noch entfernt an ihre ursprünglichen Zwecke, und auch die kleine Wohnung des Postenkommandanten Julius Wellisch, die im ersten Stock lag, war schon lange nicht mehr geputzt worden.
Wellisch war zweiundfünfzig und arbeitete seit seinem einundzwanzigsten Lebensjahr als Gendarm in seiner Heimatgemeinde Bad Fucking. Wie Bartl Rettenbacher gehörte er zum Inventar des Ortes. Was einem an Wellisch als Erstes auffiel, war eine ziemlich große Beule auf seiner Stirn, direkt über dem linken Auge. Als junger Bursche hatte er einmal versucht, die Beule mit einem Stanleymesser aufzuschneiden, was aber gründlich danebenging. Seither ziert eine wulstige, bläulich gefärbte Narbe die stattliche Erhebung. Neben dieser Geschwulst fiel an Wellisch auch noch seine hagere Statur auf. Das war auch der Grund, weshalb seine alte Uniformhose beim Gehen immer leicht flatterte. Ja, und dann war bei Wellisch noch etwas unübersehbar, und das war ein Sheriffstern, der seiner speckigen Uniformjacke einen besonderen Glanz verlieh.
Dass Wellisch aber nicht nur Gendarm, sondern auch – und vor allem – begeisterter Angler war, merkte man, sobald man die Wachstube betrat. An den Schränkenlehnten Angelruten, Unterfänger und Setzkescher, die Wände waren mit präparierten Hechten, Forellen und einem riesigen Welskopf geschmückt, und am Boden standen zwischen Gummistiefeln und Wathosen Behältnisse für Köderfische. Auf den beiden Bürotischen lagen Blinker, Haken, Vorfächer, Karabiner, Lösezangen, Bleie, Wobbler und Streamer sowie dutzende Fachzeitschriften, unter die sich auch ein
Larry-Kent
-Heftroman mit dem Titel
Der Lockvogel
verirrt hatte:
Larry Kent. Er hasst Verbrechen und liebt schöne Frauen
war auf dem Cover zu lesen.
Was im Wachzimmer fehlte, war ein Computer, stattdessen gab es eine mechanische Schreibmaschine, die mit einer verstaubten Plastikhülle abgedeckt war. Besonders stolz war Wellisch auf eine Kuckucksuhr, die er eigenhändig geschnitzt hatte und aus deren kleinem Fenster zu jeder vollen Stunde eine Forelle herausschaute, die
Kuckuck
rief. Ein weiteres Schmuckstück war eine Madonnenstatue, die auf einer Holzsäule stand und zu der Wellisch immer dann betete, wenn er über einen längeren Zeitraum keine Fische fing.
Unterhalb der Trophäen hatte Wellisch mehrere Landkarten mit Reißnägeln befestigt, auf denen in verschiedenen Maßstäben das Gebiet um den Höllensee eingezeichnet war. Einige Karten waren mit farbigen Richtungspfeilen und verschiedenen Daten markiert. Über einem roten Pfeil, der auf den Höllensee zeigte, stand zum Beispiel:
15. Juli, 20 Uhr 13
. Zwischen diesen Landkarten hing eine Karte der Sargasso-See, auf die Wellisch eine herausgerissene Buchseite geklebt hatte:
Aale sind ihrem Wesen und ihrer Herkunft nach Tiere des Meeres. Hier werden sie geboren und hier sterben sie. In unseren Flüssen und mit diesen verbundenen Seen und Teichensind sie lediglich fressende Gäste. Ihr Binnenaufenthalt dauert gewöhnlich 5–15 Jahre. Danach überfällt die wohlgenährten Tiere eine Unruhe, die sie in Schwärmen flußabwärts treibt und dem westlichen Atlantik zuschwimmen läßt. Die Unrast ist ein Teil ihres Wesens und Voraussetzung für das Laichgeschäft. Dieses findet südwestlich der Bermuda-Inseln, genauer gesagt, in der tangreichen Sargasso-See, statt. Über das Verhalten der geschlechtsreifen Aale in den Tiefen der Sargasso-See wissen wir ebenso wenig wie über das Ablaichen und die Dauer der Eientwicklung. Niemand konnte je abge-laichte Aale fangen. Wir schließen hieraus, daß sie nach der unvorstellbar langen Reise und der Leidenschaft der Paarung zugrunde gehen. Die Sargasso-See ist also ihr Grab und ihre Wiege zugleich
.
Bereits seit vielen Jahren beschäftigte sich Wellisch mit diesen rätselhaften Tieren, und er war nach intensiven Forschungen zur fixen Überzeugung gelangt, dass die Aale in der Vollmondnacht des 15. Juli wieder in den Höllensee zurückkehren würden. Das war auch der Grund, weshalb er den Verein
Rettet die Aale
gegründet hatte, dessen Ziel es war, allfällige Bauprojekte am Höllensee zu verhindern. Wenn man Wellisch fragte, woher er das mit der Rückkehr der Aale so genau wisse, antwortete er kryptisch, dass er eben gewisse Zeichen deuten könne. Welche Zeichen das waren, sagte er freilich nicht. Nur einmal erwähnte er beiläufig das Altarbild in der Kirche von Bad Fucking, auf dem man bei genauer Betrachtung einige entscheidende Hinweise finden
Weitere Kostenlose Bücher