Bad Monkeys
aber er wollte nicht sagen, was – und Sie ebenso wenig. Dann wachte er in der Nacht schreiend auf. Wieder fragte sie ihn, was denn los wäre, und er sagte, der Mann, der für die Zigeuner Kinder einsammelte, würde ihn bald holen kommen. ›Jane hat mir sein Gesicht gezeigt‹ sagte er.
Das klang zwar wieder wie die Erfindung einer Paranoikerin, aber als Officer Friendly zum Postamt ging, um sich dort ein bisschen umzusehen, fand er das hier an einer Pinnwand in der Eingangshalle. ›Jane hat mir sein Gesicht gezeigt …‹«
Nach langem Schweigen fragt sie: »Hat er meiner Mutter davon erzählt?«
»Nein«, sagt der Arzt. »Es war möglich, dass sie es schon gesehen hatte, aber falls nicht, sah er keine Notwendigkeit, sie noch weiter aufzuregen. Es war ja nicht so, dass es ein Beweisstück gewesen wäre – jedenfalls kein gerichtlich verwertbares. Aber Sie können nachvollziehen, warum er es aufbewahrt hat, selbst nachdem die Fahndung nach Doyle eingestellt worden war. Und Sie können sich denken, warum er, als ich ihn vor ein paar Tagen anrief, auf Anhieb wusste, von welcher Jane ich sprach … Also, was ist damit, Jane? Wie passt das in die Geschichte, die Sie mir die ganze Zeit erzählen? Oder hat es damit überhaupt nichts zu tun?«
»Natürlich hat es damit zu tun.«
»Wirklich? Denn ich hatte den Eindruck, die Geschichte wäre schon fast zu Ende. Hätte das hier nicht gleich zu Anfang kommen müssen?«
»Klar, wenn ich ein ehrlicher Mensch wäre … Ich wollte die ganze Sache vergessen, verstehen Sie? Das, was mit Phil passiert ist. Und dass ich überhaupt einen Bruder hatte. Tja, das hat nicht geklappt.
Ich hab gelernt, ganz gut zu lügen, was dieses Thema anging, aber das ist nicht das Gleiche wie vergessen. Aber das hier …« Sie deutet mit dem Kopf auf das Blatt Papier auf dem Tisch. »Das hier zu vergessen war mir fast gelungen. Ich dachte, ich wäre der einzige Mensch, der davon wusste – abgesehen von Phil, meine ich. Aber wie sich herausstellt, ist nicht bloß Panopticon ständig darauf aus, schlechtes Verhalten aufzuspüren.«
»Ich kann Ihnen wieder nicht folgen, Jane.«
»Hören Sie einfach zu«, sagt sie. »Es dauert nicht mehr lange.«
Die gute Jane und die schlechte Jane
Als Love mich endlich ziehen ließ, ging ich runter auf die Straße, blieb da stehen und atmete tief ein und aus, bis ich mir sicher, absolut sicher war, dass ich wirklich draußen war, auf dem realen Vegas Strip, nicht in irgendeinem formicarischen Anbau der Mudgett Suite. Was mich letztlich überzeugte, war nicht so sehr die Luftqualität als vielmehr die Anzahl von Touristen, die sich auf dem Bürgersteig an mir vorbeidrängten: Selbst die Organisation, sagte ich mir, hätte nicht die Mittel gehabt, so viele Statisten anzuheuern.
Es war Spätnachmittag. Welchen Tages war schon schwerer zu sagen, aber das spielte keine Rolle: Ich hatte einen Job zu erledigen. Panopticon hatte bestätigt, dass John Doyle in seiner Suite im Venetian war. Es war Zeit, ihm einen Besuch abzustatten. Ich schloss mich dem Menschenstrom an, der sich in nördlicher Richtung am Kasino Royale vorbei zum nachgemachten Dogenpalast wälzte.
Das Touristengedränge im Venetian war mit Clowns, weiß geschminkten italienischen Pantomimen und Harlekinen durchsprenkelt . Keiner von ihnen sah mich direkt an, aber ich wusste, dass sie mich beobachteten – als ich die Einkaufspassage weiter in Richtung Grand Canal entlanggehen wollte, packte mich ein vorbeigehender Pantomime am Ellbogen, wirbelte mich herum und stieß mich zurück in Richtung Fahrstühle. Ich fuhr ins Untergeschoss und fand die Hotellobby, wo ein rothaariger Page mit Bozo-der-Clown-Tollen rechts und links schon darauf wartete, mir eine Schlüsselkarte zuzustecken.
Erst als ich in den Lift gestiegen war, erlaubte ich mir, bewusst darüber nachzudenken, wem ich gleich gegenübertreten würde. Ich holte meine NT-Waffe heraus und vergewisserte mich, zweimal, dass der Hebel auf » Narkoleptischer Anfall« stand. »Du darfst keine anderen Waffen aufheben«, schärfte ich mir noch einmal ein.
Der Fahrstuhl erreichte die Penthouse-Etage. Ich fand Doyles Suite, öffnete mit der Schlüsselkarte die Tür und trat in einen Eingangsbereich, der größer war als die meisten Hotelzimmer. Wände und Decke waren mit Spiegeln verkleidet, und der Fußboden war aus poliertem Marmor, so dass ich unendlich viele Janes mit unendlich vielen NT-Waffen sah, die sie nicht abzufeuern wagten.
Ich folgte dem
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