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Bad Moon Rising

Bad Moon Rising

Titel: Bad Moon Rising Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Glen Duncan
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nicht. Ich schickte Signale an alles in ihm, das er schon für tot gehalten hatte. Wenn er eine Waffe mit Silberkugeln gehabt hätte, hätte er wohl in diesem Augenblick auf mich geschossen, nur um diesen Appell an sein totes Ich zu unterbinden. Er hatte Angst davor, es könne noch nicht ganz tot sein, könne anfangen, entsetzliche Forderungen an ihn zu stellen oder vielleicht auch nur die eine: dass er Platz finden könne für das Geschehene, ohne sich in jemand ganz anderen verwandelt zu haben.
    Ich fragte mich, was er wohl dachte, wie es mir ergangen war. Hier war ich, so gut wie neu, mit keiner Narbe konnte ich beweisen, was mir zugestoßen war. Dort war er, völlig verändert. Es war Verrat, einen Körper zu haben, der die Beweise für den Missbrauch an ihm ausradierte. Das ließ den Beweis innendrin nur noch schwerer ertragen. Der Beweis innendrin, das war wie eine Vergewaltigung auf einer belebten Straße bei helllichtem Tage ohne einen Augenzeugen.
    Vergewaltigung. Telepathie zog über uns hinweg wie der Schatten eines Vogels. Unsere Blicke kreuzten sich. Er sah weg. Ich dachte an die Meldung von vor ein paar Jahren: ein Haitianer war im Gewahrsam der New Yorker Polizei mit Gummiknüppeln und einem Feuerwehrschlauch vergewaltigt worden. Dann eine ganze Reihe anderer Bilder. Nackte, den Kopf verhüllte Gefangene in Abu Ghraib. Der merkwürdig glasige Blick des Spotts auf den Gesichtern der Militärpolizisten. Ich fragte mich, ob Walker die Kraft hatte, sich von solcher Gewalt zu erholen. Als Frau gilt ein Teil der Angst der Vergewaltigung, in kleinen Portionen, angefangen von der Zeit als kleines Mädchen. Wie auch nicht? Auf der ganzen Welt wurden Frauen missbraucht, Tag für Tag. Strukturelle Bedrohung. Nicht so als Mann. Als Mann machte man sich keine Gedanken um Vergewaltigung, es sei denn, man war auf dem Weg in den Knast. War es dann schwerer zu verkraften, wenn es tatsächlich dazu kam? Männer würden das wohl so sehen.
    Die Sinnlosigkeit von Worten war mit uns in der Zelle wie ein grinsender Dschinn. Walker fuhr sich mit der Zunge über die aufgeplatzten Lippen. Seine Aura war verkümmert und falsch konzentriert, ein Effekt wie der schlechte Atem eines Kranken. All der Charme und die glitzernde Historie der Frauen, die sich nach ihm gesehnt hatten, waren verloren. Es war, als habe jemand das letzte verborgene Gold seiner Jugend gefunden und ihm entrissen. Ich dachte daran, wie er in jener Nacht in der Dunkelheit ganz aus Versehen, schutzlos »Talulla?« gesagt hatte, an die Zärtlichkeit und Freude, die mich durchzuckt hatte. Ich wollte meine Arme um ihn legen und wusste, das war das Letzte, was er von mir wollte. Er wollte von niemandem jemals mehr berührt werden, außer vielleicht gewaltsam, um so den grausamen Gott zu ehren, der ihn heimgesucht hatte.
    »Du wirst mich töten«, sagte er und sah mich immer noch nicht an. »Morgen. Deshalb bin ich hier.«
    Ich sagte gar nicht erst: ›Wovon redest du?‹ Ich wusste, was er meinte. Ich hatte es schon gewusst, während er es noch aussprach. Ein lebendes Opfer. Erstklassige Unterhaltung. Besonders toll für Murdoch, der zuschauen würde, vielleicht auch noch seine Frau dazu zwang. ›Da hast du deinen Liebhaber. Schau genau hin.‹ Die Forschung würde warten, bis ich wieder meine menschliche Form angenommen hatte, um mich dann weiteren Untersuchungen zu unterziehen. Bislang hatten sie Gelegenheit gehabt, eine Werwölfin mit leerem Magen zu untersuchen. Nun konnten sie alles über sie erfahren, wenn sie satt war. Sie würden mir Elektroden anlegen, um zu sehen, was in meinem Hirn vor sich ging, während ich mir die Aufnahmen ansah, wie ich Walker tötete.
    »Nein«, widersprach ich. »Das werde ich nicht.«
    »Du hast keine Wahl. Und außerdem –«
    »Es wird nicht geschehen. Dieses Vergnügen wirst du ihnen nicht machen.«
    Vergnügen. Schlechte Wortwahl. So viele Wörter führten ihn nun direkt zu dem zurück, was ihm angetan worden war. Er schloss die Augen und zog die Knie fest an die Brust. »Du hast keine Wahl«, wiederholte er.
    »Es gibt immer eine Wahl«, sagte ich leise und sanft. (Ja, wirklich. Aber der Werwolf musste sie treffen. Frag die Opfer. Frag Delilah Snow.) Ich wollte ihn in Stille und Sanftheit wickeln, wollte ihn für eine lange dunkle Zeit neben mir schlafen lassen. Abgesehen von der Tatsache, dass Zärtlichkeit für ihn jetzt Grausamkeit war, wie alles, was ihn an die Person erinnerte, die gebrochen und beschmutzt worden war.

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