Bad Moon Rising
bis sie zwei Meter vor mir stand. Sie machte einen Knicks mit säuberlich zusammengelegten Knien, legte die Spritze auf den Boden, stand wieder auf. »Ein Sedativum«, erklärte sie. »Sie verstehen?«
Ja, ich verstand.
JETZT! JETZT!
Nichts geschah.
Ich wies auf Lorcan. Er zuerst.
»Talulla«, tadelte mich Jacqueline. »Benehmen wir uns doch wie Erwachsene. Entweder Sie vertrauen uns und tun genau, was wir Ihnen sagen, und in diesem Fall besteht die Chance, dass Ihr Kind überlebt, oder Sie sterben hier auf der Stelle, und Ihr Kind wird Ihnen folgen. Schauen Sie sich um, bitte.«
Mindestens ein Dutzend Sektenmitglieder hatten Waffen auf mich gerichtet. Silber, verriet mir meine Wirbelsäule. Diejenigen, die keine Waffe hielten, hatten kleine rote, in Leder gebundene Bücher in der Hand. Das Buch Remshi .
JETZT!
Nichts geschah.
»Jetzt oder nie, Miss Demetriou«, erklärte Remshi. »Wir haben nicht viel Zeit. Verzeihen Sie mir, wenn ich pedantisch wirke, aber wir müssen uns wohl oder übel ans Protokoll halten, und ich habe nun schon vierhundert –«
»Ein Schritt, und ich durchbohre Sie«, ging Mia dazwischen. »Kein Wort, tun Sie einfach nur genau, was ich sage.«
Mia hatte in der Menge um den Altar gestanden. Nun hatte sie den Arm um Remshis Kehle.
»Ach, du meine Güte, ist das ein Pflock?«, fragte Remshi. »Ernsthaft? Sie glauben ernsthaft, dass mir ein Pflock –«
»Schnauze«, unterbrach ihn Mia. »Jacqueline, lassen Sie das Kind frei.«
»Haben Sie den Verstand verloren?«, fragte Jacqueline.
»Kein Wort. Tun Sie es einfach.«
»Herr, um Himmels willen«, entfuhr es Jacqueline.
»Ich sage Ihnen was«, meinte Remshi. »Das letzte Mal, als das jemand versucht hat, war in Florenz, zwölfhundert- achtzig –«
Ich weiß nicht, wie er es machte. Die Bewegungen waren so schnell, dass man den Eindruck hatte, ein Stück Zeit sei herausgeschnitten worden, als er fertig war. In dem einen Augenblick stand Mia hinter ihm mit einem Arm um seine Kehle, im nächsten lag sie entwaffnet auf dem Boden und ihr Kopf blutete an der Seite, wo sie gegen den Altar gekracht war. Ein Knie drückte er ihr gegen die Kehle, der Pflock zeigte auf ihre Brust.
»Wer bist du?«, wollte er wissen.
Mia spuckte ihm ins Gesicht. »Pizda« , sagte sie.
»Ach, wie nett! Und das aus dem Mund einer Dame.«
Ein Raunen ging durch die Versammlung. Ein blonder Vampir löste sich aus der Menge und trat in den Gang. »Mia«, sagte er – gefolgt von Russisch, das sich offensichtlich in etwa übersetzen ließ mit: ›Was zum Henker machst du da?‹ Ihr Bruder, ging mir auf. Dimitri. Dieselben eiskalten Augen, derselbe sinnliche Mund.
Mia antwortete ihm ebenfalls auf Russisch, doch waren die Worte nicht sofort zu deuten. Ich fragte mich, wie stark sein Glaube war. Zweifellos hatte Jacqueline gepredigt, dass der neue Messias Liebende trennen würde, Ehemann gegen Ehefrau stellen, Bruder gegen Schwester …
»Lasst sie gehen«, verlangte Dimitri. Er hatte einen leichten amerikanischen Akzent.
»Zurück, Dimi«, forderte Jacqueline.
»Lasst sie los.«
»Dimi, bitte.«
Er machte drei Schritte auf das Podium zu, Nüstern gebläht, Fäuste geballt.
»Haltet ihn!«, befahl Jacqueline. Sofort stürzten sich drei männliche Vampire aus der ersten Reihe auf Dimitri und rangen ihn zu Boden.
»Herr«, drängte der Priester am Pult, »wir müssen wirklich weitermachen. Der Zeitpunkt ist entscheidend.«
»Das war alles?«, schrie Mia mit geschlossenen Augen. »Das ist das Beste, was du kannst? Du verdammtes, nutzloses Miststück.«
Sie meinte mich, das war mir klar. Ja, das war das Beste, was ich tun konnte. Versagen. Mein Sohn würde sterben und sie auch, im Glauben, dass ich ihren Sohn getötet hätte. Wenn ich hätte sprechen können, hätte ich ihr gesagt: »Alles in Ordnung. Er wird in einer Woche freikommen.« Ich konnte nicht sprechen. Sie würde im Hass auf mich sterben.
»Wenn es Ihnen nichts ausmacht, Talulla«, drängte Jacqueline. »Das Betäubungsmittel.«
Es gab keine andere Wahl. Ich beugte mich vor, scheinbar um die Spritze aufzuheben, doch eigentlich wollte ich maximale Geschwindigkeit und Kraft haben, um aus dem Stand zu springen. Ich fragte mich, wie viele ich wohl töten konnte, bevor eine der Kugeln traf. Jacqueline als Erste. Ich reiße ihr das präzis lippenstiftrote Lächeln aus ihrem präzis selbstgefälligen Gesicht. Lorcan sah mich an und flehte mich mit einem kleinen Geräusch zwischen Bellen und
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