Bad Moon Rising
losfahren.«
Eigentlich wollte ich nicht. Ich hatte die Existenz des Kindes noch immer nicht vollkommen akzeptiert. Selbst bei der erschreckenden Intimität, es zu waschen, hatte ich es nur bis in die Außenbezirke meines Bewusstseins eindringen lassen, ein Trick der Selbsttäuschung, der mir das emotionale Äquivalent überanstrengter Augen eingebracht hatte. Und funktioniert hatte es auch nicht. Da war sie nun, Zoë, in ihrem Plastikwäschekorb, klein und sauber und absurd, und strahlte die Kraft aus, die Welt neu erschaffen zu können. »Jedes kleinste Atom wirkte prachtvoll«, hatte Jake von dem belebenden Gefühl geschrieben, als wir uns in Heathrow begegnet waren. Und hier waren nun der weiche graue Himmel, die rosafarbenen Vorhänge, die Eichendielen und der Zimmergeruch nach Staub und Mottenkugeln und altem Leinen, und alles fragte sich, warum ich nicht ihre Seligsprechung akzeptierte.
Ich zog meine Bluse aus, versuchte nichts zu fühlen und hob das Kind dann vorsichtig an meine Brust.
Die körperliche Sensation war schockierend wörtlich, kaum dass der harte kleine Anemonenmund die Brustwarze gefunden und angedockt hatte: Ein lebendes Wesen zieht Nahrung aus meinem Körper. (Den Grundlagen war zu entnehmen gewesen, dass es bis zu drei Tagen dauern kann, bis Milch fließt; bis dahin gab es das Kolostrum, die Vormilch, randvoll mit Antikörpern und wer weiß welchen lykanthropischen Extras.) Ich durchlebte erträglichen Schrecken, so als hätte sich ein sechs Pfund schwerer Parasit an mich geheftet, aber auch das Gefühl, ein blutiges Erbe angetreten zu haben. All diese Madonnen mit Kind; das Handbuch der Griechischen Mythologi e meines Vaters, darin Hera, der Muttermilch herausspritzt und die so die Milchstraße erschafft; Verbindung zu jedem weiblichen Tier, das ich jemals mit Nachwuchs an den Zitzen gesehen hatte (dieses grässliche Wort »Zitzen«); Richard, der von einem Besuch bei seiner Schwester, die gerade ein Kind bekommen hat, nach Hause kommt, und ich frage: »Wie war sie?« Und seine Antwort: »Eine verdammte Milchkuh«; das Polaroid von meiner Mutter, die mir unter einem Ahornbaum die Brust gibt, und man konnte die Aufregung, den Stolz und die Angst meines Vaters vor ihr spüren, durch das Foto in seine Hände, die die Kamera halten, und weiter bis ins pochende Herz des Mannes, in dem noch immer der eingeschüchterte, neidische kleine Junge steckte.
Das Baby starrte mich an wie eine emotionslose Gottheit. Das , wenn überhaupt, war die göttliche Spur in uns, ein Splitter von Gottes unendlicher Fähigkeit zur neutralen Beobachtung. Zumindest solange mich das Kind anstarrte – dann blinzelte es langwimprig, das Gesicht verzog sich, und Gott verschwand und ließ ein ungeformtes menschliches Kind zurück, kaum mehr als der Fleisch und Blut gewordene Saugreflex. Da war die Verführung, von der ich gelesen hatte, der Rhythmus des Beistands, der die Drüsen beruhigte, aber da war auch Abscheu, dazu eine schnelle Bilderfolge von pornographischen Brüsten und schiefgelaufenen Silikonimplantaten und die Zeit damals im Biologieunterricht, als Mr Shaeffer uns erklärte, dass Brüste zur Fütterung der Babys da seien, und Lauren entgegnete: »Hören Sie mal, Mister, das sind meine Titten, und das heißt, ich entscheide, wozu sie da sind«, und Jennifer Snows blasse, blutbeschmierte Brüste und eine distanzierte Trauer darüber, welches Martyrium die Geschichte der Frau bislang gewesen war. Gefolgt von ein wenig billigem Selbstmitleid, weil ich – natürlich – noch nicht mal mehr eine menschliche Frau war.
12
»Und was machen wir mit der Leiche des Vampirs?«, fragte ich Cloquet. Zoë lag in ihrem Korb auf der Couch. Sie gurgelte leise und goss die gottähnliche schöpferische Energie aus, die ich weiter ignorieren musste. Ich sah ein Bild von Jacqueline Delon vor mir, wie sie meinem Sohn langsam einen Draht ins Auge bohrte. Dutzende ähnlicher Bilder, alle sehr detailreich, standen Schlange.
»Rien« , antwortete Cloquet. »Sieh selbst nach.«
Ich machte die Haustür auf und sah hinaus. Ein gutes Dutzend Wölfe bevölkerten den Hof vor dem Haus. Weitere umkreisten das Haus, wie ich wusste. Wo die Leiche des jungen Bob Dylan gelegen hatte, gab es eine kleine Senke im Schnee, bedeckt von einer grauen Staubschicht und ein paar schwarzen Resten, die wie Darmhaut aussahen. In einer Stunde würde nichts mehr übrig sein. Ich schloss die Tür. Wolf zündete ein Dutzend winziger letzter
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