Bädersterben: Kriminalroman
doch kein Kulturschock für Sie, oder?«
Stuhr verneinte. »Nein, natürlich nicht, aber Schlasien, diesen Begriff habe ich noch nie gehört.«
Anna Maria Rasmussen setzte ihre Erklärung lächelnd fort.
»Ich habe in eine alte Helgoländer Dynastie hineingeheiratet, die Rasmussens, die Nachfahren einer alten Seeräuberfamilie. Alles Banditen, aber die halten zusammen wie Pech und Schwefel.«
Stuhr musste unfreiwillig lachen, obwohl es die ungemütliche Situation, in der sie sich im Flieger befanden, eigentlich nicht hergab. Verstehen konnte er sie aber nicht. »Wie hält man es denn auf einer Insel mitten in der Nordsee aus, auf der man tagelang die eigene Hand vor den Augen nicht sehen kann?«
Die zierliche Dame beließ ihren eingeklammerten Arm bei ihm, bevor sie mit der anderen Hand lässig abwinkte. »Alles halb so schlimm im Sommer, das dauert selten länger als einen Vormittag. Im Winter kann sich das natürlich schon über Tage hinziehen, aber dann gibt es ja auch Grog. Meine Hausgäste sind selten unglücklich, wenn sie bei solchen Wetterlagen manchmal ein oder zwei Tage länger bleiben müssen. Das sind dann eben höhere Umstände, so wie heute. Ich komme denen im Hotel dann auch beim Preis entgegen, und alle sind zufrieden.«
»Und die Fliegerei? Haben Sie denn keine Angst in diesen kleinen Maschinen, dass Ihnen irgendwann etwas passieren könnte?«
Stuhr spürte am nervösen Zucken ihres Arms, dass sich die zierliche Frau Rasmussen jetzt nicht besonders wohlfühlte. Sie hakte sich noch ein wenig fester bei ihm ein. Dennoch antwortete sie souverän. »Richtig. Eine Flugheldin bin ich nicht. Ich will nur schnell zurück auf die Insel zu meinem Mann. Wissen Sie, wir kennen unsere Mitbürger. Unser Pilot, der Norbert Grenz, der ist zwar noch nicht so lange auf der Insel, aber er gilt schon jetzt als Held. Der ist früher im Himalaja geflogen. Da soll er selbst in der dicksten Suppe bis hoch auf 8000 Meter und dann wieder blitzsauber heruntergegangen sein. Solche Wetterbedingungen wie heute können den doch nicht jucken. Da sollte man eigentlich keine Angst haben, oder?«
Anna Maria Rasmussen blickte ihn prüfend an. Die Information fand Stuhr eigentlich weniger beruhigend. War der Pilot etwa ein Draufgänger? Sie legte aber noch nach.
»Man sagt über ihn, dass er nur auf der Insel die nötige Ruhe zum Schlafen finden kann. Das mag stimmen, denn auch bei übelstem Wetter habe ich abends öfter das Brummen seiner landenden Maschine vernommen, auch wenn der Flughafen längst geschlossen war. Der Schlechteste seiner Zunft scheint er mir nicht zu sein. Die Gefahr lauert im Leben sowieso meistens ganz woanders.« Sie blickte kurz zurück über ihre Schulter in den hinteren Teil der Kabine, wo Duckstein saß, aber sofort schaute sie wieder gebannt auf die Instrumententafel des Flugzeugs zurück.
Den letzten Satz konnte Stuhr nicht recht einordnen. Spielte sie tatsächlich auf diesen Duckstein an? Es war schön, dass die Intensität der Umklammerung dieses zarten warmen Armes nicht nachließ. Er liebte die Frauen. Aber nach seiner Scheidung und diesem unwürdigen Ereignis auf Bundesebene, das ihn zwangsweise in die Frühpensionierung getrieben hatte, war er eigentlich weit weg von einer verantwortungsvollen Beziehung zu irgendeiner Frau. Selbst die gutbürgerliche Nummer mit seiner Birgit hatte er nicht hinbekommen, und auch mit der Susanne vom Ostufer hatte er keinen gemeinsamen Weg einschlagen können. Was er hatte, wollte er nicht, und was er wollte, bekam er nicht. Sein Leben war schon ein wenig aus den Fugen geraten. So nutzte er das Gefühl der vermeintlichen Zweisamkeit, das der umklammernde Arm ihm gab, schamlos zu seinen Gunsten aus. Bewundernd beäugte er den Schattenriss des Piloten, der in dieser trüben Nebelsuppe immer noch absolute Ruhe ausstrahlte, und lehnte sich entspannt zurück. Die Augenlider wurden schwer, und er begann, ein wenig zu dösen. Er schreckte erst wieder hoch, als die Maschine auf einer Landebahn aufsetzte. Da ihn der zierliche Arm immer noch umklammert hielt, blickte Stuhr gelockert aus dem Fenster. ›See-Flughafen Cuxhaven/Nordholz‹ war auf dem schmucklosen Betonkasten zu lesen, der offenbar als Abfertigungsgebäude diente. Die Landebahn erschien ihm im Vergleich zu Büsum gewaltig, und ein abgezäunter Bereich mit grauen Düsenjägern wies darauf hin, dass offensichtlich auch die Bundeswehr diesen Flughafen für eigene Zwecke nutzte.
Sie rollten langsam zum
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