Bär, Otter und der Junge (German Edition)
im nächsten an meiner Seite und ich erlaube mir, zu bewundern, wie schnell er sich bewegen kann. Er sinkt auf die Knie und streckt die Hände aus, doch hält inne, bevor sie mich erreichen. Es ist beinahe, als hätte er Angst mich zu berühren, als würde ich unter ihm zu Staub zerfallen. „Oh Gott, Bär“, stöhnt er. „Oh mein Gott, bist du okay?“
Der diagnostische Check ist abgeschlossen und ich bin relativ sicher, dass die einzigen gebrochenen Dinge mein Herz und meine Seele sind. Mein Körper scheint in Ordnung zu sein, oder zumindest so in Ordnung, wie ein Körper sein kann, nachdem man dem einzigen Menschen, den man jemals wirklich geliebt hat, gesagt hat, dass es vorbei ist und dann die Treppe herunterfällt. Auf eine kranke verdrehte Art und Weise kommt mir das ziemlich lustig vor, aber das Lachen bleibt mir im Hals stecken und ich hole zischend Luft.
„Ich wollte – ich wollte nicht –“ sagt Otter, seine Augen riesig und glänzend.
„Ich weiß“, murmle ich. Tue ich das? Tue ich das wirklich?
Ich will glauben, dass ich es tue.
Seine Hände sind schließlich auf mir, gleiten an mir auf und ab, versuchen herauszufinden, wo ich verletzt bin, wo ich blute. Einen Moment lang schließe ich die Augen, genieße gegen besseren Wissens das Gefühl seiner Hände auf mir, auch wenn ein dumpfer Schmerz bereits seine hässlichen Klauen ausgestreckt hat. Seine Hände erreichen meinen Oberschenkel und streichen sanft darüber und ich lehne mich unwillkürlich, und nicht in der Lage, mich davon abzuhalten, in die Berührung. Ich weiß, dass er es bemerkt, denn ihm gefriert einen Moment lang der Atem und er greift fester zu. Elektrizität fließt unter seinen Fingerspitzen und ich kann nicht anders, als zu stöhnen, und er hört es und plötzlich sind seine Hände überall und ich fühle, wie seine Lippen sich gegen meine pressen, und sein Mund ist heiß und rau und seine Zunge stößt zwischen meine Lippen. Ich hebe meine Hände, um sie um seinen Hals zu legen und ihn zu mir herunterzuziehen, als ich wieder ihre warnende Stimme höre, ihre verdammte Stimme in meinem Kopf höre, als stünde sie direkt neben mir, und ich will schreien, aber ich weiß, dass sie das nicht übertönen würde und es würde sie nicht fernhalten und –
wer ist dir wichtiger
– sie ist laut und sie schallt durch meine ganze Existenz und hält mich davon ab, nach seinem Kopf zu greifen. Sie hält mich davon ab, ihn so tief in mich zu schieben, dass er nie wieder heraus kann, denn –
ich kann dir versprechen, dass du ihn nie mehr wiedersehen wirst
– wenn ich es nicht tue, werde ich nicht in der Lage sein, es zu beenden. Ich wäre nicht in der Lage, dieser eine Mensch zu sein, der ich für Ty sein muss, und darum ist sie da, die Frage, die meinen Verstand vergewaltigt und sie flüstert so laut –
wer braucht dich mehr
– immer und immer und immer wieder, und ich finde meine Hände auf seiner Brust, wo sie ihn wegschieben. Oh, wie ich ihn wegschiebe.
„Nein“, sage ich. „Nein, Otter.“
Er fällt zurück auf seinen Hintern und ich beeile mich, von ihm wegzukommen. Mein Körper schmerzt nun, da ich ihn bewege und ich weiß, dass ich mich morgen beschissen fühlen werde. Ich muss mich davon abhalten aufzuschreien, als ich zu fest auf meinen rechten Fuß trete und der Schmerz von meinem Knöchel aus emporschießt, scharf und klar. Ich denke nicht, dass er gebrochen ist, aber sicherlich heftig geprellt, und ich hoppele und schliddere von ihm weg. Mir wird klar wie lächerlich ich aussehen muss, wie lächerlich diese ganze Sache ist. Ich muss von hier verschwinden. Ich muss verschwinden, bevor noch mehr passiert, was ich bereuen werde. Nichts kann mich davon abhalten, jetzt zu gehen.
„Warum, Bär“, fragt er, seine Stimme gebrochen und traurig.
Ich schätze, nichts außer diesem. Ich halte an. Ich drehe mich um.
„Warum?“, fragt er wieder, als ich es nicht schaffe, ihn anzusehen.
„Otter“, seufze ich schwer. „Ich... ich hab's doch schon gesagt.“ Eine Träne kämpft sich den Weg aus meinem Auge frei und ich wische sie schnell weg, bevor andere ihr folgen.
„Ich glaub dir nicht.“
„Dann weiß ich nicht, was ich noch sagen soll.“
„Sag die Wahrheit.“
„Das ist die Wahrheit, Otter.“ Meine Stimme zittert und ich kämpfe darum, nicht die Kontrolle zu verlieren.
„Nein, ist es nicht. Vor zwei Stunden hast du mich geliebt. Vor zwei Stunden hab ich geglaubt, du würdest alles für mich tun, weil
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