Bär, Otter und der Junge (German Edition)
er auf unsere Familie blickt, nicht ganz seine Augen erreicht. Ich kenne ihn: Er wartet darauf, dass jemand etwas gegen mich sagt, so dass er sie Stück für Stück auseinandernehmen kann. Ob er das nun kann oder nicht, spielt keine Rolle. Ich weiß, dass es nicht nur für mich ist. Er braucht es so dringend, wie ich es brauche.
„Ich bin in deinen Bruder verliebt“, wiederhole ich, diesmal energischer, schneller. „Er liebt mich ebenfalls, auch wenn ich nichts getan habe, um es zu verdienen. Ich hab beinahe alles getan, was ich konnte, um es nicht geschehen zu lassen. In der Tat wundert es mich, dass er noch nicht schreiend nach Kalifornien zurückgerannt ist.“ Der Gedanke setzt sich in meinem Gehirn fest. Oh Gott . Ich sehe Creed an. „Ist er?“, flüstere ich, ohne wirklich eine Antwort bekommen zu wollen und mir gleichzeitig zu wünschen, dass sie nein lautet.
Er schüttelt den Kopf ohne zu sprechen.
„Oh“, sage ich schwach. Der Junge lässt mich einen Moment der Erleichterung empfinden, bevor er eine Bewegung macht, die mir sagt, ich solle weitermachen. Ich entscheide, nicht mehr nachzudenken und die Worte einfach von alleine kommen zu lassen. Es ist einfacher, als sich durch eine Salzwasser-Lehm-Masse zu prusten. Es ist einfacher als Ertrinken.
Und es klingt ein wenig wie das hier:
Eines Tages, vor sehr langer Zeit, kam ich nach Hause und fand einen Brief meiner Mutter, der mir sagte, dass sie fortging. Ich war gleichzeitig wütend und traurig und verängstigt. Ich wusste nicht, dass man gleichzeitig so viele Emotionen spüren kann. Ich dachte, ich würde sterben. Ich dachte, ich verliere den Verstand. Ich dachte daran, das zu tun, was sie getan hatte: Meine Sachen zu packen, einen Zettel zu hinterlassen und zu verschwinden, denn jedes einzelne dieser Dinge wäre einfacher gewesen, als zu tun, was von mir erwartet wurde. Ich denke, die meisten Menschen hätten es mir nicht verübelt, wenn ich den Schwanz eingekniffen hätte. Aber es hätte ein paar gegeben, die damit ein riesiges beschissenes Problem gehabt hätten. Das waren die paar Menschen, die an meiner Seite standen und mir meine Momente des Zusammenbruchs erlaubt hatten, wenn die Erdbeben zu stark wurden. Das waren die paar Menschen, die mich wieder zusammengesetzt haben, wenn ich dachte, ich sei zu kaputt, um je wieder repariert werden zu können. Sie haben mir nicht erlaubt, weinerlich zu werden, haben mir nicht erlaubt, mich in mich selbst zurückzuziehen und nie wieder rauszukommen, auch wenn ich das wollte. Sie haben all mein Möchtegern-Harter-Sturer-Kerl-Scheiß durchschaut, und wussten, was das Beste für mich war. Was das Beste für den Jungen war.
Ich weiß nicht, ob ich mich bei euch allen jemals bedankt habe. Ich meine, ich hab es vermutlich früher schon einmal gesagt, aber ihr wisst alle gar nicht, wie viel ihr uns bedeutet. Zu wissen, wenn wir durch die Hölle gegangen sind, die unser Leben manchmal war, dass immer einer von euch da war. Für mich ist es schwer zuzugeben, wenn ich Hilfe brauche, aber ihr wisst, wenn ich etwas brauche und nicht danach fragen kann. Also danke dafür, dass ihr unsere Familie seid. Danke dafür, dass ihr die Menschen seid, die ich in meinem Leben haben will. Und ich bitte euch, dass ihr mir die Lügen verzeiht, die ich euch, auch wenn ich weiß, dass ich eigentlich ein besserer Mensch bin, erzählt hab.
Wisst ihr, ein Teil von mir hat gefehlt. Ich hätte euch nicht wirklich sagen können, was es war, aber es war da. Ich habe es nicht als das erkannt, was es war und habe erlaubt, dass sich Schorf darüber bildet, aber es ist nie völlig abgeheilt. Es ist nie verschwunden. Jetzt, da ich weiß, was es ist, ist es umso schwerer, denn ich hab den Schorf abgekratzt, die Wunde geöffnet und zu allem Überfluss auch noch Salz rein gerieben. Ich hab Angst, dass ich niemals das haben kann, was ich haben will, wegen dem, was mir stattdessen genommen würde. Ich bin bereit dazu, mein Leben danach auszurichten, zu beschützen, was mir gehört, aber ich weiß nicht, wie ich darum bitten soll, es zurückzubekommen, ohne mein Herz zu verlieren.
Er ist, was gefehlt hat. Er kam zurück und ich war wieder ganz. Es hat eine Weile gedauert, das zu verstehen und es gab Zeiten, in denen ich dachte, dass ich es niemals würde; aber das hab ich, und er war da und hat auf mich gewartet. Also hab ich mich drauf eingelassen, bin an einen Ort gegangen, von dem ich nicht einmal wusste, dass es ihn gibt. Ihr alle habt
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