Bären im Kaviar
prüfenden
Blick auf ihn und ergriffen entsetzt die Flucht.
Die Geschehnisse der nächsten fünfzehn
Minuten werden in verschiedenen Versionen erzählt. Ich selber kann nur das
berichten, was ich gesehen habe. Mischa verschwand im Publikum. Ljuba schoß in
Richtung Küche davon, angezogen von den Düften eines köstlichen Mahles. Ich
raste hinter Schura her (sie war die einzige, die nicht biß) und brachte es
fertig, sie innerhalb weniger Augenblicke in den Laufgang und von dort in die
Garderobe zu bugsieren. Als ich sie einschloß, hörte ich eine harmonische
Mischung von Seelöwengebell, gellenden Frauenschreien und deutschem Fluchen aus
der Küche herauftönen. Ich kam noch rechtzeitig an, um die Küchenmädchen nach
allen Richtungen auseinanderstieben und den frisch eingetroffenen
österreichischen Küchenchef auf dem Anrichtetisch auf und nieder hüpfen zu
sehen, während Ljuba, heiser brüllend wie eine wütende Kuh, um den Tisch
galoppierte und dabei Kohlenkästen, Abfalleimer und alles, was sonst noch in
den Bereich ihrer großen Schaufelflossen geriet, über den Haufen warf. Der
Küchenchef versuchte derweilen höchst erfolglos, Ljuba mit einer immensen
Bratpfanne auf die Nase zu schlagen. Was er dadurch eigentlich zu erreichen
hoffte, kann ich mir nicht vorstellen. Ljuba freilich schien es zu amüsieren,
denn jedesmal, wenn er einen Schlag gegen sie führte, duckte sie sich elegant
zur Seite und heulte entzückt auf. Als der Chef mich sah, schrie er:
»Um Gottes willen, so tun Sie doch
irgend etwas! Tun Sie was! Von Lachen und Maulaffen-Feilhalten wird
nichts besser! «
Während der Koch schrie, brüllte
Ljuba, und die Küchenmädchen kreischten.
Schließlich erregte der Tumult die Aufmerksamkeit
von Durows Assistenten, der sich im Dienerzimmer mit den Stubenmädchen angenehm
die Zeit vertrieben hatte. Er riß augenblicklich die Zügel an sich. Mit einigen
Sätzen spritzte er die Treppe hinauf, holte sich aus dem Lastwagen einen Topf mit
weithin stinkenden toten Fischen, zerrte den schwankenden Durow aus dem
Ballsaal und machte sich unverzüglich daran, seine Truppen auf Vordermann zu
bringen. Die Formation, die er bildete, war beinahe so grotesk wie die
Situation. Ich mußte Durow mit festem Griff unter die Achsel vor mich hin
halten, während der Assistent von hinten her um uns beide herumreichte, den
Fischtopf lockend vor Ljuba schüttelte und dabei Geräusche ausstieß, die
vermutlich eine Imitation der Stimme ihres verdämmernden Herrn sein sollten.
Eine Nase voll Fisch war genug für
Ljuba. Sie stoppte ihren wilden Tanz um den Küchentisch und schlitterte eiligst
quer durch den Raum zu uns herüber, während wir uns langsam auf die zu ihrer
Garderobe führende Treppe zurückzogen. Knapp vor dem ersten Treppenabsatz
argwöhnte sie plötzlich, daß wir sie »an der Nase herumführten«, und hielt an.
Nun ist es aber für einen Seelöwen gar nicht einfach, auf einer Steintreppe zu
verweilen. Sobald sie mit Klettern aufhörte, verlor sie den Halt und rutschte wieder
bis unten zurück. Wir folgten sofort nach. Ich schüttelte Durow, um ihn
vielleicht wachzurütteln. Der Assistent schüttelte den Fischtopf und machte
komische Geräusche. Ljuba besann sich, entschied, daß wir doch vertrauenswürdig
seien, und kraxelte erneut hinter uns her. Aber wieder pausierte sie, rutschte
hinunter und endete am Fuß der Treppe.
Während dieser Vorgänge hatten sich
unten die Küchenmädchen, der Gärtner, der Pförtner und die Chauffeure
versammelt. Sie feuerten uns mit Bravorufen und guten Ratschlägen an. Jedesmal,
wenn Ljuba auf sie zugerutscht kam, spritzten sie aufgeregt auseinander.
»Holt ein paar Besen«, keuchte ich,
»und wenn sie nächstesmal zu schlittern anfängt, schiebt ein paar Besen unter
sie und haltet sie auf. Was sie braucht, ist ein bißchen Unterstützung.«
Die Besen waren im Handumdrehen zur
Stelle, und drei, vier mutige Seelen folgten Ljuba zaghaft, als sie erneut
begann, mühsam hinter dem kraftlosen Körper ihres Meisters und — für sie
zweifellos wesentlich reizvoller — dem Topf mit scheußlich stinkendem Fisch her
die Stufen hochzuklimmen. Als sie wieder pausierte, hielten die Besen sie auf
der Stelle, bis sie zu ein paar weiteren Stufen verführt werden konnte.
Endlich erreichten wir das obere
Stockwerk, und wenige Augenblicke später schon leistete sie Schura in der
Garderobe Gesellschaft. Wir umzingelten Mischa, der inzwischen den Gästen eine
Reihe ungeprobter Nummern
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