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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Haupttafel,
überladen mit Karaffen voll Wodka, erstreckte sich durch die ganze Länge des
Raumes. Stalin in schlichter Militäruniform, mit dem Lenin-Orden als einziger
Dekoration, präsidierte an der Tafelmitte. Zu seiner Rechten saß der hitzige
kleine Lord Beaverbrook, zu seiner Linken der amerikanische Botschafter.
    Der Botschafter ließ mich bitten, ihm
einige Papiere zu holen.
    Während ich sie ihm an die große Tafel
brachte, explodierte Lord Beaverbrook auf einmal und knatterte einem in der
Nähe sitzenden Engländer eine Salve britischer Schmähungen entgegen.
    »Sie verdammte Schnapsnase — Sie
strohfressender Vegetarier!« schloß er schnaufend. Stalins Brauen hoben sich
neugierig. Er wandte sich an den einzigen Dolmetscher in unmittelbarer Nähe:
    »Was, wenn ich fragen darf, sagte Lord
Beaverbrook soeben?«
    Präsident Roosevelt hatte erst kürzlich
die US-Politik als »Hilfe für England« definiert. Als gehorsamer Beamter des
Staates konnte ich seine Worte schlecht ignorieren.
    »Lord Beaverbrook kommentierte Mr. X’s
Geschmack im Essen, Sir«, antwortete ich.
    Stalin grinste skeptisch. Er hat mich
nie wieder gebeten, für ihn zu dolmetschen.
    Doch nicht immer waren meine
Dolmetsch-Versuche so unergiebig. Nahezu acht Jahre vorher — knapp nachdem die
Vereinigten Staaten die Sowjetunion anerkannt hatten — wurde in Moskau ein
ähnliches Bankett abgehalten. Botschafter Bullitt gab den führenden Generalen
der sowjetischen Armee ein Dinner. Da unsere Botschaft noch nicht fertig
eingerichtet war, hatte er den Festsaal des National-Hotels gemietet. Rechts
von ihm saß der Kriegskommissar Woroschilow,- seine schmucke weiße
Sommeruniform war übersät mit glitzernden Orden und dekoriert mit glänzenden
Schärpen, sein rundes Engelsgesicht quoll aus dem hohen, engen Stehkragen. Zur
Linken des Botschafters saß General Budjennyi, der Vater der Roten Kavallerie;
seine ungeheuren schwarzen Schnurrbartenden standen starr gezwirbelt zu beiden
Seiten der Oberlippe in die Höhe. Rund um die Tafel waren alle führenden
Militärs aus den dreißiger Jahren versammelt: Jegorow, Tuchatschewski, Chmelnitzki
und ein Dutzend anderer.
    Es war ein Bankett nach echter, alter
moskowitischer Tradition. Die Tafel war mit Kaviar, Gänseleberpastete, Fasan
und Ente überladen, und ein halbes Regiment eilig umherfegender Kellner füllte
die Gläser der Gäste mit Dutzenden unterschiedlicher Wodka-, Sekt- und
Whiskysorten.
    Ich hatte auf einem kleinen Stuhl
zwischen dem Botschafter und Woroschilow Posten bezogen. Gelegentlich mußte ich
— wenn sich der Fluß der Unterhaltung in andere Richtung wand — mit dem Stuhl
in der Hand um den Sessel des Botschafters herumflitzen, um für Budjennyi zu
dolmetschen. Nach einem Tag angestrengtester Büroarbeit war ich ziemlich
ermüdet und, ehrlich gesagt, über meine abendliche Aufgabe nicht allzu
beglückt.
    Auf einem Bankett zu dolmetschen ist
wohl die enttäuschendste und am wenigsten sättigende Beschäftigung, die ich
kenne. Gelegentlich einmal kann man, zwischen zwei Geistesblitzen der sich
Unterhaltenden, ein Glas Wodka hinunterschütten. Essen jedoch steht gänzlich
außer Frage. Ein Kellner stellt einem eine Platte vor die Nase, auf der sich
Toast und Kaviar zu Bergen türmen. Während sich die Gesprächspartner noch
innerlich auf die schwierige Arbeit der Konversation vorbereiten, schaufelt man
behutsam Kaviar auf eine Scheibe Toast... »Sagen Sie dem General, die Nacht sei
heiß...« Man übersetzt und wartet die nächste Pause ab, um ein wenig Zitrone
auf den Kaviar zu träufeln... Unterhaltung... Einen Augenblick Stille, und man
streut ein bißchen gehackte Zwiebel über den Kaviar... Die Unterhaltung geht
weiter... Erneut eine augenblicklange Pause, man hebt den Toast zum Mund...
»Sagen Sie dem General, ich liebe das Ballett...« Die Hand stoppt kurz vor dem
Ziel, und man übersetzt... Pause, man hebt die Scheibe Toast... »Welches
Ballett mag der Botschafter am liebsten...?« Man senkt den Toast und
übersetzt... Der Botschafter zögert eine Sekunde, man greift hastig zum Kaviar,
aber... »Ich glaube, »Schwanensee- ist das beste, das ich je gesehen habe, aber
>Giselle< ist natürlich ebenfalls excellent...« Übersetzen... Schnell den
Kaviar, doch nicht schnell genug... »Und geht der Botschafter auch gern ins
Theater...?«
    Schließlich gibt man auf, kippt sich
ein Glas Wodka in die Kehle — dafür ist jede Pause lang genug — und findet sich
für den Abend mit

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