Bären im Kaviar
Sommer 1934 oft
aufgesucht hatten. Am Silberforst machte der Fluß eine scharfe U-förmige
Biegung. Vor die offene Seite dieses >>U« wurde ein hoher
Stacheldrahtzaun gezogen, so daß die Spielfläche — etwa einen Quadratkilometer
groß — nunmehr von drei Seiten durch Wasser und auf der vierten durch den Zaun
abgeschlossen war.
Wir versammelten uns in einem nahe
gelegenen Kavallerie-Zeltlager, ritten zum Fluß hinunter, durch die seichte
Furt und jenseits auf die Weidefläche. Die Kavalleristen trugen blitzblanke
russische Uniformen, deren Hemden, um die Hüften mit einem Gürtel gerafft, über
die Reithosen fielen. Die Militärmützen hatten sie sich sauber aufgerichtet auf
die Köpfe geklemmt. Höflich sahen sie zu, wie wir ihnen die unterschiedlichen
Schläge eines Polohammers vorführten.
Nach einer Weile bekam jeder von ihnen
einen Hammer und einen Ball und durfte es allein ausprobieren. Sie waren alle
vorzügliche Reiter, und es dauerte nicht lange, da schwirrten bereits in
sämtlichen Richtungen Polobälle davon. Als ihm ein Ball gegen das Kinn gekracht
war, entschied der Botschafter, sie hätten nun lange genug geübt. Er sortierte
sie zu zwei Zehnergruppen auseinander. Der einen Gruppe zeigte er eine
Kirchturmspitze am Horizont und wies sie an, in jene allgemeine Richtung zu
schlagen, die andere Gruppe machte er auf einen Fabrikschornstein in der
entgegengesetzten Richtung aufmerksam. »Sowie ihr aber in die Nähe des Flusses
geratet, hört ihr sofort auf!« schärfte er ihnen ein, erklärte noch ein paar
Spielregeln und sagte zum Schluß, wenn er in seine Pfeife stoße, sei das Spiel
zu Ende.
Ich versuchte es zu übersetzen.
Natürlich hatte keiner der Spieler jemals auch nur das Bild eines Polomatches
gesehen. Und der russische Wortschatz — zumindest mein russischer Wortschatz
— war alles andere als reich an Polofachausdrücken. Als ich fertig war,
bezweifelte ich ernstlich, ob sie überhaupt etwas davon verstanden hatten.
Während der nun folgenden Aufstellung
sahen sie alle merkwürdig konfus und verwirrt aus; doch da warf der Botschafter
auch schon den Ball, und der Spaß begann.
Als der Ball in den Wald der hundert
Pferdebeine und Hammerköpfe rollte, herrschte einen knappen Augenblick lang
Totenstille. Dann holte einer aus — ein Brüllen wurde laut, ein wilder Fluch —
irgendwo waren sich Hammer und Menschenknochen zu nahe gekommen. In der
nächsten Minute entstand ein wüstes Durcheinander, bis der Ball aus dem
Gedränge hervorschoß und alle zwanzig Reiter ihm in irrer Jagd nachsetzten. Ein
wirbelnder Hammerkopf schleuderte ihn weiter. Die Verfolger im Galopp
hinterher. Eine Serie primitiver Hiebe verpaßte ihn, und abermals knäuelte sich
die Horde zu wütendem Gewoge. Mehr Stöhnen, immer häufigeres Fluchen, und
dazwischen die qualvollen Töne auf Menschen- und Pferdebeine niedersausender
Polohammerschläge. Wieder tauchte der Ball auf, und wie von der Sehne
geschnellt fegte das Feld brüllend hinterdrein. Der Anführer holte gewaltig,
aber falsch aus, schlug daneben und stoppte abrupt. Prompt krachte sein
Hintermann mit ihm zusammen und hätte ihn fast vom Pferd gerissen. Im Nu
verschwand der Ball wieder zwischen den Pferdebeinen.
Sie kamen mächtig in Schwung. Zuerst
galoppierte der Botschafter noch neben ihnen her, um sie bei »Fouls« zu
verwarnen, aber bald war auch ihm nur zu klar, daß sich niemand um etwas
anderes als den Ball kümmerte.
Am eifrigsten von allen zwanzig war
ein kleiner Mongole aus Zentralasien. Anfangs stürzte er wie ein Rasender
mitten in jedes Knäuel, seinen Hammer schwingend und fremdtönende Kriegsschreie
ausstoßend. Dann sah ich, wie er sich heimlich ein Stück vom großen Haufen
absetzte. Im nächsten Augenblick sauste der Ball aus dem Gedränge, abermals
verfolgt vom Rest der Spieler. Der Mongole gab seinem Pferd die Sporen und
preschte auf ihn zu — scharf im rechten Winkel zu den heranrasenden Verfolgern.
Wenn kein Wunder geschah, war ein Zusammenprall unvermeidlich. Der Mongole
jauchzte schrill auf. Vielleicht glaubte er, die anderen erschrecken und
verscheuchen zu können. Aber jeder hielt eisern auf sein Ziel los. Das
Ergebnis: ein dumpfdröhnender Aufprall, ein Schmerzensschrei und drei Pferde,
die im vollsten Galopp ineinandergerast waren! Das Pferd des Mongolen wankte,
kippte um, die beiden anderen gerieten ins Stolpern und fielen auf ihn. Der
Ball indessen rollte gelassen übers Feld davon, und die anderen Spieler rasten
weiterhin wie
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