Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
Vom Netzwerk:
aufrecht stehen.
    Zur Unterhaltung besorgten wir uns
eine tschechische Jazzkapelle, die vorübergehend in Moskau war, und ein
komplettes Zigeunerorchester mit dazugehörigen Tänzern. Die letzteren traten in
meinem unten gelegenen, in ein Zigeunerlager verwandelten Schlafzimmer auf. Im
zweiten Stock richteten wir ein kaukasisches Schaschlik-Restaurant ein. Hier
spielte eine georgische Kapelle, und ein georgischer Schwerttänzer tanzte. Das
kaukasische Restaurant war uns erst zwei Minuten vor Torschluß eingefallen, und
so kam es, daß die hierzu bestimmten Gartenmöbel nach dem Anstreichen nicht so
recht Zeit zum Trocknen hatten. Die daraus resultierenden grünen Streifen auf
den Jacketts des Diplomatischen Korps waren noch monatelang zu sehen — ebenso
lange übrigens, wie eine gewisse Reserviertheit der Träger gegen mich andauerte.
    Als der große Abend endlich gekommen
war, erwartete Botschafter Bullitt seine Gäste unter dem Kronleuchter des
Prunkballsaales. Zu seinem größten Ärger schloß sich ihm dort ein Zebrafink an,
der dem Fischnetz entschlüpft war. Als ich die Szene betrat, pirschten Bullitt
und sein Botschaftsrat Wiley gerade — mit weißer Krawatte, Frackschößen und
weißen Handschuhen — vorsichtig und auf den Zehenspitzen durch den ganzen
Ballsaal dem Finken nach, der sich aber von ihnen nicht wieder einfangen ließ.
    Unter den ersten Gästen waren
Außenminister Litwinow und seine Gattin Ivy. Ivy warf einen Blick auf die
Bauernhof-Szenerie im Speisesaal und erkannte gleich eine Kolchose. Wir
versuchten ihr auseinanderzusetzen, daß es ein völlig alltäglicher und ganz
gewöhnlicher kapitalistischer Bauernhof sei; doch ließ sie sich keineswegs
überzeugen, sondern enteignete zum Beweis ihrer Theorie schlankweg eines der
Ziegenlämmchen und hielt es den ganzen Abend über auf dem Arm.
    Insgesamt waren etwa fünfhundert
Personen anwesend: das Diplomatische Korps, das Politbüro mit Woroschilow,
Kaganowitsch und Bucharin, die führenden Generale der Roten Armee mit Yegorow,
dem Generalstabschef, Tuchatschewski, den zwei Jahre später ein Militärgericht
unter Leitung Yegorows, der kurz darauf selber erschossen wurde, zum Tode
verurteilte, und selbstverständlich dem unverwüstlichen alten Budjennyi, der
nachher über beide zu Gericht saß und immer noch lebt. Radek, führender
politischer Schriftsteller bis zu seiner Liquidation zwei Jahre später, war
ebenfalls da, den komischen krausen Backenbart sorgfältig um die Kinnladen
frisiert. Außer Stalin war überhaupt buchstäblich alles erschienen, was in
Moskau Rang und Namen hatte.
    Sowie alle Gäste versammelt waren,
wurden die Lichter im Ballsaal abgedunkelt, an den Wänden sprossen die Blumen
aus dem Projektor auf, und an der hohen, gewölbten Decke erstrahlte — in
letzter Minute noch dem unerschöpflichen Phantasiefundus unseres Bühnenmeisters
entsprossen — der Sternenhimmel mitsamt einem dicken, gelbschimmernden Mond.
    Kurz vor dem Souper warf ich einen
besorgten langen Blick auf meine Hähne, die in ihren Glashandtuchhalter-Käfigen
die Wände des Speisezimmers schmückten. Sie waren zugedeckt. Wir hofften
nämlich, sie würden vielleicht, wenn wir die Tücher jäh wegnähmen und zugleich
die Lichter im Saal aufflammen ließen, das ganze für Morgendämmerung und
Sonnenaufgang halten. Als schließlich Botschafter und Küchenchef von zwei
Seiten signalisierten, daß alles fertig sei, ließ sich leider nur einer der
Hähne narren, doch schrillte sein Kikeriki dafür gellend durchs ganze Haus.
Bedauerlicherweise wurde diese wunderbare Vorführung durch das schlechte
Benehmen eines anderen Hahnes etwas beeinträchtigt. Dieser entschied energisch,
ein Botschaftsbankett in einem Glaskäfig sitzend mitzumachen sei
hirnverbrannter Unfug. Er trampelte kurz entschlossen den Boden aus seinem
Käfig und hüpfte, bar jeder Grazie, schnurstracks in die riesige Terrine
Gänseleber, die wir extra für das heutige Fest aus Straßburg hatten holen lassen.
    Während des ganzen Abends war ich
vollauf damit beschäftigt, in erbitterten Streitigkeiten zwischen
Pastetenbäcker und Fleischkoch (welcher Herd steht wem zu?) salomonische
Urteile zu fällen oder darauf zu achten, daß der Nachschub an Wein in der vorgeschriebenen
und notwendigen Richtung vom Keller in den Speisesaal (und nicht in den
Aufenthaltsraum der Chauffeure) floß. So verpaßte ich den großen Augenblick, in
dem Radek das Bärenbaby auf dem Rücken liegend, mit einer Flasche Milch in

Weitere Kostenlose Bücher