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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Säuberungsaktionen von 1937 bis 1939 machte Intourist flotte Geschäfte
mit Amerikanern, die Abenteuer, das Paradies oder die Emanzipation suchten.
(Wobei die Emanzipation meist Frauen herbeilockte, die daheim Bücher über die
freie Liebe in Rußland gelesen hatten.) Aber man kam auch, um die großen
Abtreibungskliniken (1936 geschlossen), das Kreml-Museum (für Fremde 1937
geschlossen) oder die Universität (für die meisten Ausländer ab 1938
geschlossen) zu besichtigen. Professoren kamen, um die neue Planwirtschaft zu
studieren, Landwirtschaftler, um sich zu überzeugen, wie das Kollektivsystem
funktionierte, Techniker, um die berühmte neue Untergrundbahn zu sehen. Die
überwiegende Mehrzahl aller Besucher freilich bestand aus einfachen Touristen,
die sich einen allgemeinen Überblick verschaffen und zu Hause stolz erzählen
wollten, sie seien in Rußland gewesen.
     
    Die Gesellschaftssaison in Moskaus
diplomatischen Kreisen dauerte vom frühen Herbst bis in den späten Frühling mit
ein paar Sommerfesten als Draufgabe. Wir Amerikaner wurden kurz nach
Botschafter Bullitts Ankunft zum erstenmal in den Strudel des geselligen Lebens
gezogen.
    Bullitt war jedoch, nachdem er so ziemlich
alle anderen Botschaften zu Soirées, Konzerten und Tanzabenden besucht hatte,
von der Originalität des Gebotenen so wenig entzückt, daß er uns vor seiner
Abreise zu Besprechungen nach Washington gegen Ende des Winters 1934/35 anwies,
für drei Tage nach seiner Rückkehr ein Fest zu arrangieren, das alles in Moskau
je Dagewesene in den Schatten stellen sollte. »Nur der Himmel darf ihm Grenzen
setzen«, schärfte er mir ein, »solange es gut und endlich mal was anderes ist!«
    Nach meinen Erfahrungen mit den Seelöwen
war ich in bezug auf wilde Tiere etwas zurückhaltend geworden. Irina Wiley
aber, die Gattin des Botschaftsrates, bestand darauf, daß irgendwelche Tiere dasein müßten. Keine andere Botschaft hatte bisher etwas
Lebendigeres bieten können als einen Tenor, und wir sollten ja schließlich
Neues bringen.
    »Wir besorgen uns einfach ein paar
zahme Tiere vom Land und richten in einer Ecke des Ballsaales einen
Miniatur-Bauernhof ein. Das Ganze nennen wir dann Frühlingsfest«, sagte Irina
strahlend.
    Daß Gegenargumente zwecklos waren,
wußte ich aus Erfahrung.
    Es klang auch ansprechend genug. Ein
paar Lämmchen und ein paar wilde Blumen und ein paar winzige junge
Birkenbäumchen in Töpfen — das war alles, was wir brauchten. Aber wir hatten
die Rechnung ohne den Wirt (beziehungsweise das Wetter) gemacht. Zwei Wochen
vor unserem großen »Frühlingsfest« war es draußen noch eklig kalt, und in den
Wäldern lag knietiefer Schnee. Die Birkenbäumchen und die Blumen waren noch
nicht einmal dazu gekommen, sich das Blühen auch nur zu überlegen. Außerdem gab
es ziemliches Kuddelmuddel mit den Schafen. Zwar erklärte sich ein Kollektiv
bereit, uns einige zu leihen; doch ergab sich bei der Kostümprobe, daß ihr
Geruch für jeden Ballsaal unerträglich war. Wir wuschen, badeten, ja parfümierten
sie — es half nichts. Dann versuchten wir es mit einigen Ziegenlämmchen.
Erstaunlicherweise rochen sie besser,- doch war die Luft immer noch zum
Zerschneiden. Schließlich besuchten wir wieder einmal unseren alten Freund, den
Zoodirektor, der mittlerweile etwas zugänglicher und liebenswürdiger geworden
und beim Gedanken an die Zusammenarbeit mit Ausländern nicht mehr ganz so
nervös war. Er schlug Bergziegen vor.
    »Sie riechen weniger heftig als zahme
und sind außerdem origineller.«
    So entliehen wir uns ein halbes
Dutzend Bergziegen-Lämmchen und montierten auf einer erhöhten Plattform hinter
dem Büfett einen kleinen Bauernhof für sie.
    Irina aber entschied, Bergziegen seien
nicht genug. Kein Bauernhof sei komplett ohne Hähne. Wir würden sie in
Glaskäfigen an den Wänden des Speisezimmers aufhängen, setzte sie mir
begeistert auseinander. Zufällig jedoch war Moskau in Glaskäfigen für
Bauernhähne gerade ausverkauft. Infolgedessen schraubten wir die gläsernen
Handtuchhalter aus sämtlichen Zimmern des Botschaftspersonals ab (was einen
wilden Sturm im Wasserglas hervorrief) und ließen vom Schreiner Käfige daraus
machen. Den Handtuchhalter-Besitzern versprachen wir feierlich, daß sie ihre
Glasstangen — sofern nichts schiefginge — später wiederbekämen. (Bis auf zwei sind
sie tatsächlich zurückgegeben worden.) Selbst ein Dutzend stolzer weißer Hähne
befriedigte Irina nicht.
    »So ein winzig-kleines

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