Bären im Kaviar
Botschafter, »lassen Sie die
Glotzerei und unternehmen Sie lieber was dagegen, daß diese verfluchten Vögel
die ganze Einrichtung ruinieren!« Nach dieser freundlichen Aufforderung begab
er sich in sein Büro. Eine feine Sache — nach einer Nacht wie der vergangenen!
Mir schien ein Experte angebracht. Also rief ich den Zoodirektor an und bat
ihn, seinen besten Vogelfänger herzuschicken. Schon wenige Minuten später fuhr
der Vogelfänger mit einem Netz und den auseinandergenommenen Teilen einer langen
Stange unter dem Arm per Fahrrad über die Botschaftsauffahrt.
»Da entstehen gar keine
Schwierigkeiten«, beruhigte er uns gleich beim Eintritt, »nur keine Aufregung,
meine Herren! In einer Minute habe ich sie alle wieder, die kleinen Ausreißer.«
Er lachte gutmütig.
»Sie müssen zuerst den Raum sehen«,
warnte ich.
Der Experte lachte noch mehr. »Nein,
nein, das ist ganz einfach…«
Auf dem Weg zum Ballsaal schraubte er
bereits eifrig die Netzstangen ineinander. Wir öffneten ihm die Tür — er warf
einen langen, langen Blick auf die zwanzig Meter hohe Decke und schnappte
hörbar nach Luft. Einige Augenblicke tiefer Stille folgten. Dann begannen seine
Hände mechanisch wieder zu schrauben — diesmal andersherum...
»Ja, aber weshalb haben Sie mir denn das nicht gleich gesagt?« flüsterte er gebrochen, sich das auseinandergenommene
Fanggerät erneut unter den Arm klemmend.
Als er weg war, wanderte ich allein,
verwirrt und trostlos von Raum zu Raum. Die eine riesige Finkenschar hatte sich
mittlerweile in lauter kleine Unterscharen aufgeteilt, die sich munter durch
die ganze Botschaft tummelten. Bald war das Haus voll ihres Gezirpes und
Getröpfels.
Von Zeit zu Zeit tauchte der
Botschafter wild um sich starrend aus seinem Büro auf.
»Verdammt«, sagte er jedesmal, »was
Sie auch immer tun wollen — tun Sie’s um Himmels willen bald! Noch eine Weile
weiter so, und wir haben kein einziges anständiges Möbelstück mehr.«
Lange nach Dunkelwerden kam mir
plötzlich eine Idee. Ich beauftragte den Butler, das Personal zusammenzurufen,
und bald war alles, bis zum kleinsten Küchenmädchen und dem Boy, in meinem
Schlafzimmer versammelt. Ausführlich erklärte ich ihnen meine Strategie. Wir
knipsten im ganzen Haus das Licht aus und öffneten alle Fenster. Auf jede
Fensterbank stellten wir eine helle Lampe. Dann machten wir, mit Besen, Kissen
und sonstigen Wurfgeschossen bewaffnet, die Runde durch sämtliche Zimmer und
scheuchten die Vögel so lange, bis sie auf das Licht zuflogen. Mit einem
letzten »ksch, ksch!« jagten wir sie dann in die Nacht hinaus. Ich wußte, daß
der Zoodirektor über den Verlust seiner Zebrafinken nicht gerade hocherfreut
sein würde; aber ich wußte auch, daß er noch eine ganze Menge mehr davon hatte
— jedenfalls mehr, als ich Aussichten auf neue Posten. Drei Stunden lang war
das Haus ein turbulentes Durcheinander flatternder Flügel, wirbelnder Kissen
und schreiender Menschen; doch zum Schluß waren die Finken draußen und die
Botschaft befreit.
Es war das letzte Fest, das mich der
Botschafter zu organisieren bat — ich möchte annehmen, weil ich auf anderen
diplomatischen Gebieten unersetzlich wurde.
1937 waren die großen sowjetischen
Säuberungsaktionen in vollem Gange, und die Isolierung aller Ausländer in
Moskau war praktisch vollzogen. Unsere alten Bekannten verschwanden entweder
einer nach dem anderen oder brachen jede Beziehung zu uns ab. Da es nie leicht
gewesen war, unter den Russen Freunde zu gewinnen, schmerzte es uns doppelt,
wenn die wenigen, mit denen wir auf herzlichem Fuße gestanden hatten, uns auf
der Straße oder im Foyer der Oper den Rücken zukehrten. Alle zwei, drei Tage
lasen wir in der Zeitung den Namen eines Bekannten, der wegen Spionage
verurteilt oder als Verräter denunziert worden war oder sich selber der
Sabotage schuldig bekannte: auch Tuchatschewski, Yegorow, Radek, Bucharin und
der legendäre Baron Steiger.
Steiger entstammte einer alten
baltischen Familie, vertrat aber bereits zur Zeit der Revolution die Sache der
Sowjets — wie viele wissen wollten, gegen das Versprechen, daß man seinen Vater
nach Frankreich emigrieren ließe. Was aber auch immer der Grund gewesen sein
mag, die Sowjets schienen gut mit ihm auszukommen. Er war ein kultivierter Mann
mit ausgesprochenem Sinn für Humor und einem riesigen Fundus an Geschichten,
die er in brillantem Französisch erzählte. Außerdem verfügte er über mysteriöse
Beziehungen zum Kreml
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