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Bären im Kaviar

Bären im Kaviar

Titel: Bären im Kaviar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charles W. Thayer
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Weiterreise zu
überzeugen. Aber in Zeiten offensichtlichen Friedens lassen sich die Amerikaner
nicht leicht von ihren Konsuln überreden.
    »Die Kriegspsychose ist eine Erfindung
Chamberlains«, meinten einige geringschätzig.
    Andere, die politisch weniger genau im
Bilde waren, sagten schlicht: »Quatsch!«
    Sowie aber am ersten September der
Polenkrieg ausbrach, änderte sich die Melodie schlagartig. Wir brauchten nicht
mehr in den Hafen zu gehen, um sie zu treffen. Sie kamen freiwillig und gleich
zu Hunderten ins Konsulat.
    Zuerst fragten sie nur um Rat. Sie
erhielten ihn unverblümt:
    »Fahren Sie zurück — und zwar sofort!«
    Selbst
dann noch zögerten einige: »Ach was, das ist so’n Bluff von diesen
gottverdammten europäischen Politikern. Die wollen uns ins Bockshorn jagen. Die
Engländer werden gar nicht kämpfen. In zehn Tagen ist der Krieg vorbei.« Wir
hatten allen Grund, die Sache anders zu sehen. Der englische Konsul kam zu uns
und teilte uns mit, London werde uns nach Englands Kriegseintritt bitten, den
Dienst für sie mitzuversehen. Um auf alle Fälle sicherzugehen, brachte er uns
sein Geld und seine Kontobücher, sein Inventarverzeichnis und seine Schlüssel
und ging nach Hause, um alles Weitere abzuwarten.
    »Worin wird denn unsere offizielle
Beglaubigung bestehen?« fragten wir ihn noch schnell vor dem Fortgang.
    »Sie werden ein Telegramm des Foreign
Office in London bekommen, in dem >warone< steht, sonst nichts. Das ist Ihre Beglaubigung. Antworten Sie mit dem
Codewort >wallup<. Von
diesem Augenblick an sind Sie auch britisches Konsulat.«
    Es klang geschäftsmäßig und war eine
angenehm kurze Prozedur, die sich vorteilhaft von unseren eigenen Methoden
abhob. Als zwei Jahre später Pearl Harbour angegriffen wurde, saß ich mit
unserer Botschaft in Kuibyschew. Die Nachricht vom Angriff und der folgenden
Kriegserklärung hörten wir schon wenige Stunden später im Rundfunk. Dreizehn
Tage hinterher erst erhielten wir das offizielle, drei Seiten lange Telegramm
aus Washington, in dem der Kongreßbeschluß über die Kriegserklärung Wort für
Wort wiederholt wurde. Ich persönlich hielt das britische System für besser.
    In den zwei Tagen nach dem Überfall
auf Polen passierte nichts. Das heißt: nichts in bezug auf das Londoner
Telegramm. Abgesehen davon ging es im Hamburger Konsulat zu wie in einem
Bienenkorb. Statt der üblichen fünfzig Besucher täglich kamen nun tausend.
Draußen wurden die letzten Luftschutzmaßnahmen geprobt. Deutsche Kampfflugzeuge
patrouillierten über unseren Köpfen. Sooft es ihnen oben in der Luft langweilig
wurde, machten sie einen Sturzflug, der, wie mir vorkam, jedesmal auf meinen
Kopf gezielt war.
    Der Kapitän eines kleinen
amerikanischen Frachtschiffes kam an den Schaltertisch, hinter dem Vizekonsul
Thayer auf einem hochgeschraubten Drehstuhl thronte. Was er tun
    solle?
    »Bringen Sie Ihr Schiff aus der Elbe,
aber schleunigst!«
    Ein wütender Klient mit kräftiger
Ausdrucksweise boxte sich vor: »Der Konsul in Breslau hat gesagt, in
vierundzwanzig Stunden gäb’s Krieg, und er hat mir auch gesagt, ich soll
abfahren. Jetzt sind schon zwei Tage vorbei, und noch immer ist nichts
passiert! Ich weiß genau, daß es überhaupt keinen Krieg gibt. Ich verlange das
Geld für eine Rückfahrkarte nach Breslau!«
    So höflich, wie es unter diesen
Umständen nur möglich war, riet ich ihm, sich gefälligst zum Satan zu scheren.
    Eine alte Dame mit einem halben
Dutzend Kinderchen kam als nächste vor.
    »Mein Mann hat von Amerika
telegrafiert, wir möchten Sie fragen, was wir tun sollen.«
    »Zu ihm fahren«, sagte ich.
    Ein Kollege reichte mir einen Haufen
Telegramme aus Washington. »Alles erkundigt sich nach Tante Lieschen...«,
flüsterte er mir grinsend zu.
    Plötzlich tauchte Yang mit einem
Tablett voll Essen vor meinem Schaltertisch auf. Ich war seit fast zwanzig
Stunden ohne Unterbrechung tätig, und er war mir jetzt herzlich willkommen.
    Die Stukas oben fingen wieder an,
heulend auf uns niederzusausen. Mir rann es kalt über den Rücken...
    Der Telefonist rief quer durch den
Raum: »Das Konsulat in Kopenhagen möchte gern wissen, wie viele Amerikaner
heute abend aus Hamburg zu erwarten sind.« Ich sah auf die Listen vor mir.
    »Einhundertsiebenundzwanzig, falls der
letzte Bus überhaupt noch durchgelassen wird.«
    Ein kampflustiger kleiner Kunde
schaukelte, mit den Armen schlenkernd, herein. Ich erkannte einen von jenen
wieder, denen ich erst in der vergangenen

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