Bärenmädchen (German Edition)
Handwerker, die sie ohne viel Federlesen in einem schäbigen Bauwagen nehmen würden, und Studenten, die sie mit Weltschmerz-Pose und Dichterzitaten in ihre WG-Zimmer locken wollten.
Anne hielt sich nicht unbedingt für eine Schönheit. Sie hatte von Natur aus dunkelbraune Haare und braune Augen. Eine nicht gerade originelle Kombination, wie sie fand. Die Haare hatte sie bei einem trendigen Friseur in Hamburg-Altona zu einer derzeit ziemlich angesagten Kurzhaarfrisur stylen lassen. Eine dicke Haarsträhne hatte nun zwar stets die Tendenz, über ihr linkes Auge zu rutschen, trotzdem hatte sie sich selten mit einer Frisur so wohl gefühlt.
Ihr Schmollmund könne jeden Mann verrückt machen, hatte ihr einmal ein liebestoller Verehrer in einer alkoholreichen Nacht in einer Kneipe ins Ohr gesäuselt. Sie selbst fand ihre Lippen an schlechten Tagen schlauchbootartig. An guten Tagen hoffte sie, dass Bier und Wein ihren damaligen Verehrer soweit enthemmt hatten, dass er nichts als die pure Wahrheit von sich gab. Immerhin hatte er sich auch über ihre Augen ausgelassen. Sie seien zwar nur mittelgroß – schönen Dank auch! –, würden ihrem Gesicht aber durch ihre schräge mandelförmige Form ein irgendwie slawisches Flair verleihen.
„Bild dir bloß nichts darauf ein. Du bist keine Claudia Schiffer“, hatte ihre Mutter trotzdem regelmäßig gesagt, wenn sie gesehen hatte, dass Anne vor dem Spiegel stand. Ein Spruch, der saublöde war. Wie so vieles bei ihrer Mutter. Auf der Hitliste ihrer beliebtesten Nettigkeiten Anne gegenüber war der Claudia-Schiffer-Spruch allerdings nur die Nummer Drei. Absoluter Spitzenreiter war der Vorwurf, dass sie zu oberflächlich sei und nichts im Leben zu Ende bringen würde. Nummer Zwei war dann die Behauptung, dass sie bei Männern zu wählerisch sei und mit dieser Einstellung niemals jemanden finden würde. Warum dies ausgerechnet einer erfolgreichen alleinerziehenden Frau – Annes Mutter war Fachärztin – so wichtig war? Nummer Zwei wurde nicht vorgebracht, ohne Hinweis auf Nummer Eins. Als die flatterhafte, unernste Person, die sie nun einmal sei, brauche sie nichts dringender als einen Ernährer.
Aber mit derlei düsteren Überlegungen mochte sich Anne jetzt nicht belasten. Bleiben wir doch lieber bei meinem Äußeren, dachte sie, während sie mit wippendem Po durch die Gegend stolzierte. Okay, ihr Hintern. Sie und ihr Po waren nicht gerade beste Freunde. Mal verbscheute sie ihn als zu groß und ausladend. Dann fühlte sie sich wie eine Elefantenkuh, schwor, schon morgen mit einem knallharten Po-Verschlankungs-Training zu beginnen, und wählte aus ihrem Kleiderschrank möglichst sackartige Gewänder. Mal fand sie ihn wiederum sehr weiblich, und fragte sich, ob man sie auch „Der Hintern“ nennen würde, wenn sie berühmt wie Jennifer Lopez wäre. Immerhin: Sie war – abgesehen vom Po – nicht fett. Klar wäre sie gerne ein bisschen schlanker gewesen, aber welche Frau wäre das nicht.
Was sonst noch blieb von ihrem in letzter Zeit so sträflich vernachlässigten Prinzessinnenkörper? Apfelsinengroße Brüste, die der Schwerkraft mit frech nach oben gerichteten, kleinen, hellen Brustwarzen trotzten, und Beine, die zumindest recht ordentlich gewachsen waren. Jedenfalls sahen sie nicht zu kurz und nicht zu stämmig aus. In der Schule hatte sie sich damit sogar als recht gute und ausdauernde Läuferin entpuppt.
Jetzt allerdings stemmte sie ihre beiden Stelzen in den Boden, als wäre sie in eine Pfütze mit Sekundenkleber getreten. Ihr Blick war auf ein Oberteil in warmen Rottönen im Schaufenster einer Edel-Boutique gefallen. Sicherlich viel zu teuer, aber es war einfach hiiiiiiiinreißendend. Anne ging darauf zu, bis sie ganz dicht vor der Schaufensterscheibe stand. „M“, das war genau ihre Größe. „Edles Strickjackett mit byzantinischen Blumenmotiven“, stand auf dem Schild. Mit 160 Euro aber war es eigentlich jenseits ihrer Möglichkeiten. Andererseits: Brauchte sie nicht vielleicht doch etwas Trost nach der Sache mit Sören?
„Das Teil würde Dir gut stehen.“
Anne schaute sich überrascht um. Eine junge Frau etwa in ihrem Alter hatte sie angesprochen.
„Du bräuchtest es eine Nummer kleiner. Dann würde es deine gute Figur noch besser zur Geltung bringen.“
Die Frau lächelte sie offen an. Sie trug wie Anne Jeans, aber die waren deutlich figurbetonter geschnitten. Dazu ein bauchfreies weißes Top. Sie hatte eine richtige Modellfigur und ihr Gesicht war von
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