Bahama-Krise
um ein stocknormales Mikrophon, wie es als
Standardausrüstung zu Tonbandgeräten geliefert wird. Vom Querbalken, wo
es mit einem Klebeband befestigt gewesen war, führte ein Draht zu einer
kleinen Fuge im Dach. Ich zertrampelte das Teufelsding mit sinnloser
Genugtuung.
Als ich mich an dem Balken hochzog, war mir der First über dem
Türbogen aufgefallen, den man aus normaler Augenhöhe nicht sehen
konnte. Wie wär es, wenn ich mich oben auf den Querbalken versteckte
und Leroy, wenn er durch die Tür trat, einen schweren Gegenstand auf
den Kopf schleuderte. Ich verwarf die Idee, nachdem ich mich entsann,
wie Leroy beim Betreten des Verlieses vorzugehen pflegte. Jedesmal
hatte er die Tür so weit geöffnet, daß das Türblatt an die Wand schlug.
Auf diese Weise war er sicher, daß ich mich nicht hinter der Tür
verbarg. Wenn er nun hineinkam und mich nicht im Raum entdeckte, dann
blieb nur eine Möglichkeit. Ich mußte irgendwo im Dachfirst sitzen. Es
gehörte wenig Phantasie dazu, sich auszumalen, wie er mich von dort
wieder herunterholen würde.
Wenn mir jemand in der nächsten halben Stunde zugesehen hätte,
er
wäre zu dem Ergebnis gekommen, daß ich völlig übergeschnappt war. Ich
stellte mich mit dem Rücken zur Tür und nahm die Haltung eines
Raubtiers an. Das Raubtier war Leroy. Ich machte mir keine Illusionen
über die Kampfkraft dieses Mannes. Im Zweikampf war er mit Sicherheit
gefährlicher als Robinson. Ich entschied, daß Robinson eher mit dem
Intellekt an die Dinge heranging. Er dachte über alles, was er tat,
recht lange nach. Nicht so Leroy. Auch wenn man davon ausging, daß er
nur Stroh im Kopf hatte, so würde er doch bei einer Kraftprobe ein
tödlicher Gegner sein. Er würde keinen Augenblick nachdenken, sondern
instinktiv tun, was notwendig war.
Ich ahmte also die Bewegungen von Leroy nach, wie er
hereinkam. Er
schlug die Tür auf, bis sie an die Wand knallte. Immer noch im
Türbogen, vergewisserte er sich dann, daß ich auf dem Bett lag oder
saß. War das der Fall, dann richtete er die Waffe auf mich und kam
herein. Ich stellte mich vor mein Bett und richtete einen imaginären
Revolver auf einen imaginären Mr. Mangan.
Dann würde Robinson den Raum betreten. Damit er überhaupt
durch die
Tür konnte, mußte Leroy die Tür freigeben. Ich trat zur Seite, meine
Waffe, die ausgestreckte Hand, auf das Bett gerichtet. Genauso hatte es
Leroy gemacht, wie ein Leibwächter im Gangsterfilm. Ich schaute nach
oben, zum Dachfirst. Dies war der Moment, wo bei mir wieder Hoffnung
keimte.
Ich ging zum Waschtisch und untersuchte den Krug. Eine
Erinnerung
erwachte in mir. Ich hatte solch einen Krug schon einmal gesehen,
besser gesagt die Scherben davon. Es war in England gewesen, während
meiner Schulzeit. Zu meiner Ausbildung hatte das Rechtsstudium gehört.
Und um uns zu veranschaulichen, wie es bei den Gerichten zuging, hatte
uns unser Professor ins Londoner Schwurgericht beordert, wo ein
Mordversuch verhandelt wurde. In einer Absteige hatte es ein
Handgemenge zwischen Seeleuten gegeben. Und jetzt wurde der Arzt
vernommen, der das Opfer behandelt hatte. Ich hatte mir damals Notizen
gemacht. Jetzt sah ich sie vor mir, als säße ich wieder im
Zuschauersaal.
Richter:
Sie
haben dem Verletzten also Bluttransfusionen gemacht.
Arzt:
Ja,
das Blut dazu wurde mir in Krügen gebracht.
Richter:
In
Krügen, sagen Sie? Wieviel Krüge Blut hat der Mann denn bekommen?
Arzt:
Neun
Krüge, im Verlauf von dreißig Stunden.
Richter:
Ist
das nicht ziemlich viel Blut?
Arzt:
Das
kann man wohl sagen.
Richter:
Wieviel
Krüge Blut, würden Sie sagen, passen überhaupt in einen Menschen?
Arzt:
In
einen Mann von der Statur des Verletzten etwa acht.
Richter:
Sie
sagten doch aber, Sie hätten ihm neun Krüge verabreicht. Dann ist
das Blut also schneller aus dem Mann rausgekommen, als Sie es reingetan
haben.
Arzt:
So
ist es.
Das
Besondere bei dem verhandelten Fall war, daß der Mordversuch mit den
Scherben eines solchen Kruges begangen worden war. Die Scherben,
beschmiert mit eingetrocknetem Blut, lagen damals auf dem Richtertisch.
Ich wandte meine Aufmerksamkeit dem Vorhang am Fensterloch zu,
der
aus einem Stück groben Sackleinens bestand. Das Sackleinen war mit
Heftzwecken am Fensterrahmen befestigt. Beides, der Vorhangstoff und
die Heftzwecken, kam mir sehr zustatten. Ich entfernte den Vorhang mit
einem Ruck und verbrachte den Rest des Tages, indem ich das Gewebe
aufribbelte. Ich kam mir vor wie ein Sträfling zu Zeiten
Weitere Kostenlose Bücher