Bahama-Krise
Vielleicht gelang es mir auch, schnell
genug an Leroys Waffe zu kommen, dann würde alles leichter sein. Ich
hatte eine Chance, wenn ich nur schnell genug war. Dann war da noch
Belle, die Frau. Von ihr hatte ich, so hoffte ich, keine
ernstzunehmende Gegenwehr zu erwarten. Was mir Sorgen machte, war
Leroys Schießfinger. Immer wenn er in meine Zelle trat, hatte er den
Finger am Abzug gehabt. Traf ihn mein Katapult am Kopf, dann war damit
zu rechnen, daß der Muskel am Finger unwillkürlich zusammengezogen
wurde. Ich mußte versuchen, aus der Schußlinie zu bleiben.
Lähmend langsam verging die Zeit. Ich betrachtete die schwere
Tonschüssel hoch über dem Türrahmen und wälzte mathematische
Gleichungen. Die Schüssel würde mit zunehmender Geschwindigkeit nach
unten sausen. Um bis zu Leroys Kopf zu gelangen, mußte sie rund zwei
Meter zurücklegen. Das Gewicht würde zwei Drittel einer Sekunde
brauchen, um zwei Meter tief zu fallen. Es würde sich mit einer
Geschwindigkeit von durchschnittlich sieben Meter pro Sekunde bewegen.
Es war albern, daß ich diese Berechnungen anstellte, und ich kam mir
wie ein Schuljunge vor. Aber es vertrieb mir die Zeit.
Mit einem Knall sprang die Tür auf. Es war nicht Leroy,
sondern der
andere Leibwächter. Er hielt eine Flinte auf mich angelegt und blieb im
Türrahmen stehen, um sich zu vergewissern, daß er ungefährdet eintreten
konnte. Robinson stand hinter ihm. Aus irgendeinem Grunde vermied er
es, zu mir hineinzukommen.
»Zum letztenmal, Mangan«, sagte er. »Was haben Sie Perigord
geflüstert?«
»Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«
»Ich bin's jetzt leid mit Ihnen«, sagte er. »Du bleibst bei
ihm,
Earl, und hältst ihn in Schach. Wenn du schießen mußt, ziel auf die
Beine.«
Angewidert wandte er sich von mir ab, ich hörte, wie seine
Schritte
sich entfernten. Der Mann, den er Earl genannt hatte, schloß die Tür
hinter sich. Dann lehnte er sich mit dem Rücken ans Türblatt, die
Flinte auf mich gerichtet. So wie er dastand, war er vom Türbogen
geschützt. Mein Katapult konnte ihm nichts anhaben. Mein schöner Plan
war umsonst gewesen.
Ich beschloß, meinen Bewacher in ein Gespräch zu verwickeln.
»Wie heißt du, hat er gesagt?«
»Earl.« Der Lauf der Flinte senkte sich um einen oder zwei
Zentimeter.
Ich stand von der Pritsche auf und machte einen Schritt auf
ihn zu.
»Wieviel bezahlt er dir?«
»Das geht dich einen Dreck an.«
Ein zweiter Schritt in seine Richtung.
»Vielleicht geht's mich mehr an, als du meinst. Ich kann mehr
zahlen als er!«
»Du machst Sprüche.«
»Nein.« Ich beendete meinen dritten Schritt. »Laß uns die
Sache einmal bereden. Ich kann dir wirklich etwas bieten.«
Ich war ihm zu nahe gekommen. »Noch ein Schritt, und ich puste
dir dein Untergestell weg!«
»Schon gut, schon gut.« Ich ging zu meinem Bett zurück. »Ich
bin
sicher, daß mein Angebot für dich interessant ist.« Im stillen jubelte
ich. Er stand jetzt da, wo ich ihn haben wollte. Vorsichtig tastete ich
mit einer Hand hinter mich, wo die Schlaufe der Schnur hängen mußte.
»Möchtest du's dir nicht wenigstens anhören, was ich dir
biete?«
»Kein Interesse.«
Ich fingerte auf dem Laken hinter meinem Rücken herum. Weder
dort
noch in der Luft war die verdammte Schlaufe zu finden. Meine Stichwaffe
lag an meinem rechten Schenkel, in einer Falte des Bettuchs vergraben.
Verzweifelt tastete ich mit der linken Hand nach der Schnur und
versuchte das Manöver mit meinem Leib zu verdecken.
Als ich die Schlaufe fand, ertönte draußen ein Schrei, der
Sekunden
später in ein herzzerreißendes Weinen überging. Earl hob den Lauf der
Flinte. »Ruhig Blut, Mister!« Er grinste und ließ eine Reihe brauner
Zahnstümpfe sehen. »Mußt dir dabei weiter nichts denken. Das ist Leroy
beim Frühsport. Nach ihm bin ich dran!«
Wieder das Kreischen von Debbie, sie schrie in Todesangst.
»Das überlebst du nicht, Earl, das schwöre ich dir!« Ich
straffte die Schnur.
»Die Hände nach vorn!« befahl Earl. »Beide, und zwar sofort!«
»Aber gern.« Ich holte die linke Hand vor und zeigte ihm die
offene
Handfläche. Zuvor hatte ich die Zugschnur zum Katapult betätigt.
Ich warf mich flach zu Boden, noch bevor der Schuß losging.
Earl
mußte wohl damit gerechnet haben, daß ich aufstehen und auf ihn zugehen
würde wie beim erstenmal. Statt dessen landete ich flach vor ihm auf
dem Boden. Ein ohrenbetäubender Knall ertönte. Ich rollte mich mit
einer raschen Bewegung zur Seite, um
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