Bahnen ziehen (German Edition)
Konzept des Badens näher.
G RÖSSE
An diesem Montagmorgen bin ich die erste Besucherin in Stockholms Centralbadet, gefolgt von James und einem alten Mann mit einer großen gelben Schwimmbrille, der mit stetigen Brustzügen die Umrisse des Beckens abschwimmt. Als ich ihn so sehe, wechsele ich auch zu Brust und passe mich seinem Tempo an. Es ist angenehm. Es ist entspannend. Während wir drei gegen den Uhrzeigersinn schwimmen, stelle ich mir vor, wie ich älter werde, meinen schlaffer werdenden Körper, mein unbefangenes älteres Ich. Ich denke an die beiden älteren Frauen, die ich in der Umkleide gesehen habe, ihre schlichten schwarzen Badeanzüge, die Beulen und Knochen und delliges Fleisch bedeckten. Den brutalen Ausdruck, mit dem ein Freund einmal den Rücken einer Frau beschrieben hat: »Ein Sack Knochen.« Ich sehe zu, wie meine Hände vor mir eine doppelte Ellipse beschreiben, die Handgelenke meiner Mutter mit den Knöcheln meiner Großmutter.
1. Speedo, schwarzes Nylon, zweite Lage beim Training, 1988-1992.
Beim Training trugen wir zwei, manchmal drei Anzüge übereinander, um durch die Extralagen Gewicht und Widerstand zu erzeugen. Die Anzüge waren aus Nylon, haltbarer, aber weniger elastisch als Lycra. Manche Männerbadehosen hatten Netztaschen, in denen sich Wasser sammelte und an den Hüften kleine Beulen bildete. Vor dem Training trugen wir die Extraanzüge auf den Hüften. Bei Wettkämpfen rollten wir sie nach dem Einschwimmen feucht herunter, wie Balletttänzerinnen ihre Stulpen über Knie und Knöchel ziehen. Ein schwarzer Nylonanzug wurde mit der Zeit graubraun; ein blauer rosastichig grau.
Das Centralbadet, erbaut 1909, ist ein schimmerndes Jugendstilschwimmbad mit Holzbalken und Fliesen. Alle Ecken sind abgerundet, und die Wasseroberfläche befindet sich einen halben Meter unterhalb des Beckenrands; ich habe das Gefühl, ich würde in einer Tasse schwimmen oder im Rumpf eines Schiffes. Hinter Vorhängen stehen Holzwannen, Sonnenbänke und abgedunkelte Massagekabinen. Im unteren Stock entdecken James und ich einen großen Raum mit mehreren kleineren Becken: ein Trog mit heißem Wasser und einer mit kaltem; eine steile Treppe, die in hüfttiefes kaltes Wasser führt; ein tiefer Hot Tub mit verschieden hohen Sitzreihen; dahinter ein großer Whirlpool mit eingebauten Liegesitzen. Die beiden älteren Frauen setzen sich zu uns in den Hot Tub und klammern sich am Geländer fest.
2. Mehrfarbiger Speedo »Paper-Suit«, Wettkampf, 1992.
»Paper-Suit« genannt, weil er aus einem extrem feinen, hauchdünnen Lycra-Nylon-Gemisch besteht, das in trockenem Zustand wie Seidenpapier raschelt. Wir bestellten unsere Wettkampfanzüge zwei Nummern zu klein und trugen sie vor den Läufen unter der Kleidung – bis unter die Achseln oder auf die Hüfte gerollt. Es wurde empfohlen, sie vor dem Schwimmen anzufeuchten, damit das Material an der Haut klebte und beim Startsprung keine Luftblasen bildete. Der Rücken war tief ausgeschnitten.
Greg, der Trainer der Fortgeschrittenen-Gruppe, fragte uns eines Morgens: Was ist das Erste, das wir tun, wenn wir an einem Trainingstag aufwachen?
»Dehnen«, sagte ich.
Er schüttelte den Kopf.
»Pinkeln?«, sagte jemand anderes.
»Ja.« Greg nickte. »Und ich will, dass ihr euch wiegt und das Gewicht aufschreibt, wenn ihr vom Klo kommt.«
3. Mehrfarbiger Speedo »Paper-Suit«, Wettkampf, Canadian Olympic Swimming Trials, 1992.
Nach dem Final eines Auswärtswettkampfs fuhr das ganze Team in ein Restaurant. Im Bus gingen mir folgende Gedanken durch den Kopf:
Nicht mehr nervös.
Im Restaurant essen.
Kann bestellen, was ich will.
Bin müde, muss nicht reden.
Haare nass, Kleider warm.
Muss danach nicht abräumen.
4. Roter Vintage-Baumwollanzug von Aldrick & Aldrick, Freizeitschwimmen, 1998-heute.
Erworben bei Black Market Vintage Clothing in Toronto. Getragen in Flüssen und Seen bei einer Tour quer durch Kanada; im Bobolink-Pond in Ancram, New York; auf der Wasserrutschbahn im Camelbeach Waterpark in Pennsylvania; im Lake of Bays in Muskoka, Ontario. Abgebildet auf dem Cover des Saturday Night Magazine und im Süddeutsche Zeitung Magazin .
Ein Abendessen mit dem Team in einem Restaurant sieht so aus: Die Schwimmer tragen Anoraks oder dicke Jacken, die, wenn sie überhaupt ausgezogen werden, nach außen gekrempelt über der Stuhllehne hängen. Haare in verschiedenen Feuchtigkeitsstadien. Bei den Jungs zurückgekämmt oder verstrubbelt. Bei den Mädchen mit
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