Bahnen ziehen (German Edition)
Fenster das sich verändernde Licht. Wenn der Himmel hell wird, breitet sich Erleichterung in mir aus. Als ich 1991 wieder mit dem Schwimmen anfing und der Mannschaft der University of Toronto beitrat, fand das Training in einem 50-Meter-Becken mit hohen, nach Westen ausgerichteten Fenstern statt. Wenn ich in der einen Richtung nach rechts und in der anderen nach links atmete, konnte ich zusehen, wie die Farben des Himmels den Verlauf der Zeit markierten, Schwarz zu Lila, dann Ultramarin, Lavendel, Malve und schließlich, beim Ausschwimmen – mit schmerzenden Lungen, von Erleichterung durchspült –, ein kaltes, blasses Grau.
Als der Zitronenkuchen fertig ist, steche ich ihn mit der Gabel an und gieße den Guss darüber. Ich lasse den Kuchen eine halbe Stunde auf dem Blech abkühlen, bevor ich ihn auf einePlatte hebe. Dabei sehe ich, dass ich den Boden habe anbrennen lassen, also schneide ich die verkohlte Schicht ab, dann lasse ich ihn weiter auskühlen. Von außen betrachtet, scheint der Kuchen die richtige Farbe zu haben, aber als ich ihn koste, merke ich, dass ich danebenliege. Nahe dran, aber daneben.
Meine Mutter ist für eine Woche zu Besuch in New York. Ich lege einen Quilt, an dem sich der Saum löst, über das Bett im Gästezimmer. Sie besteht darauf, den Saum zu reparieren, also hieve ich die Nähmaschine aus dem Schrank und stelle sie auf den Esstisch. Während meine Mutter den Quilt flickt, frage ich sie, ob es sie verletzt habe, als ich sie damals bat, mir nicht beim Schwimmen zuzusehen.
»Ich glaube, ich habe gedacht, das ist so eine Teenagersache«, antwortet sie und mustert den Saum über ihre Brille hinweg. »Wie alt bin ich damals gewesen?«
Ich bin auf dem Weg in die Küche, um mitgebrachten Kaffee aufzuwärmen, und sage über die Schulter: »Ich war vielleicht vierzehn, also musst du, wie alt, vierundvierzig gewesen sein?«
»... aber vielleicht habe ich dir trotzdem zugesehen.«
»Was meinst du mit vielleicht?«, rief ich aus der Küche.
»Wenn ich wissen wollte, wie es läuft, habe ich einfach von einer Stelle aus zugesehen, wo du mich nicht sehen konntest.«
»Im Ernst?«
»Ziemlich dreist, oder?«
Ich sehe zu, wie der Kaffee warm wird, und denke darüber nach. Ich lächele.
Zurück im Esszimmer reiche ich ihr den Kaffee. »Ich benutze die Nähmaschine nie, aber vielleicht tue ich es, wenn du mir zeigst, wie man den Faden einfädelt.«
»Ach, das ist leicht«, sagt sie. »Aber du musst ihn vorsichtig einfädeln, sonst macht das Ding boholbohol .«
Ich frage sie nach den Eltern der anderen Schwimmer.
»Ich erinnere mich, dass alle anderen Eltern dich sehr hübsch fanden, und sehr schnell.«
»Worauf warst du stolzer?«
»Auf beides.«
Bei meiner Hochzeit führte meine Mutter, die eine weiße Toga und auf dem Kopf einen Blumenkranz trug, zu Elvis’ »Hawaiian Wedding Song« einen Tanz auf. James und ich mussten auf einem Couchtisch stehen, und sie sang lautlos mit, während sie um uns herumwirbelte. Anmutig legte sie uns Blumenkränze um den Hals. Als sie fertig war und der Applaus verklang, verbeugte sie sich und rief: »Seht ihr! Leanne ist nicht die Einzige, die Talent hat!« Alle lachten, nur ich tauschte einen schnellen Blick mit James. Was? Er erwiderte meinen Blick mit großen Augen.
Am Ende ihres Besuchs wecke ich meine Mutter frühmorgens, um sie zum Bahnhof zu fahren. Auf mein Flüstern schlägt sie die Decke zurück; ihr Körper – im Dunkeln, in Unterwäsche – sieht aus wie meiner. Vor ein paar Tagen hatte sie sich für die »Glamour Frauen des Jahres«-Preisverleihung ein Kleid von mir geliehen; sie hatte mehrere anprobiert, bevor sie sich für ein schwarzgelbes Vintage-Kleid entschied. Ich fand es gleichzeitig tröstlich und seltsam, dass ihr alle meine Kleider passtenund standen, auch wenn sie eine andere Figur hat und viel kleiner ist.
Blaues Licht fällt unten durch die Scheiben, als ich Wasser aufsetze und schwachen milchigen Tee für ihre Pirelli-Thermosflasche zubereite. Als wir vor die Tür treten, hat die Luft einen dünnen malvenfarbenen Schleier und ist kalt wie Seewasser.
T RAININGSLAGER
Barbados, letzte Dezemberwoche 1991. Ich teile mir das Hotelzimmer mit Rachel, Erin und Shelley. In der ersten Nacht schlafe ich schlecht; es ist heiß, und ich höre »Smells Like Teen Spirit« aus dem Hotel nebenan. Ich starre das verschnörkelte Gusseisengitter vor dem offenen Fenster an und denke: Das ist das Hotel, wo die normalen Menschen wohnen,
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