Bahnen ziehen (German Edition)
Zeigefinger durch das Loch und berühre die Titanic . Sie ist kalt.
Bei Fitness First schwimme ich nur sechzig Bahnen, weil mir die Kellerluft zu stickig ist. Im Umkleideraum zieht sich die Frau neben mir einen schwarzen Bleistiftrock und eine schwarze Seidenbluse an. An ihren schwarzen Lack-Peeptoe-Pumps sind kleine schwarze Schleifen.
»Sie hat sich den Kopf am Küchentisch aufgeschlagen«, erzählt sie einer anderen Frau. »Wenn die Wunde wieder aufplatzt, muss sie vielleicht noch mal genäht werden.«
Ich brauche einen Moment, bis ich verstehe, dass sie von einem Kleinkind spricht.
»Wo hast du die Bluse her? Die ist hübsch«, fragt ihre Freundin.
»Die hier? Ach, das ist noch Umstandsmode. Ich stecke sie einfach in den Bund ...«
Ich sehe einer Reihe von Frauen beim Haareföhnen zu, während ich warte, bis mein Badeanzug trocken geschleudert ist. Ihre Lippen glänzen, sie sind frisch und bereit fürs Büro. Ich trage ein zerrissenes Flohmarkt-Kleid über meiner Pyjamahose, dazu Männerschnürstiefel. Und ich habe keine Bürste dabei. Ich fühle mich verlottert und frage mich kurz, ob sie mich vielleicht für eine findige Obdachlose halten, die hier die Duschen benutzt. Ich erinnere mich an den Bürojob, den ich vor einem Jahr gekündigt habe. Wie nach dem Schwimmen früher kam ich abends um acht erschöpft nach Hause und starrte wie ein Reptil meinen vollen Teller an.
Ich sehe mich im Spiegel an, den roten Brillenabdruck um meine Augen. Dann ziehe ich mir die Mütze über die nassen Haare und gehe.
Unser Zimmer im Château Laurier ist immer noch nicht fertig, also gehen wir in die Bar, um zu Mittag zu essen. Wir sitzen neben einem Pianola, das Joplin und Mozart herunterleiert. James zeigt auf die Pedale, die sich selbstständig bewegen. »Phantom-Pianist«, sagt er. Im Château ist es ein bisschen unheimlich. Die weiten Flure mit den Gewölbedecken erinnern an Kubricks Overlook Hotel. Die Fahrstühle geben ächzende Geräusche von sich, wenn sie nach oben fahren; die bleigefassten Facettenfenster, Türmchen und schweren Eichentüren vermitteln eine intensive Ahnung davon, was hier ungesehen vor sich geht, das Private, das Vergängliche. Ich kaufe mir das Buch Gespenster in Ottawa und erfahre, dass der fünfte Stock – wo wir unser Zimmer haben – angeblich von Charles Melville Hays’ Geist heimgesucht wird: Manchmal singt erim Treppenhaus oder berührt Frauen unter der Dusche. Die Eröffnung des Château hätte am 26. April 1912 stattfinden sollen, aber wegen des Untergangs der Titanic wurde sie auf den 1. Juni verschoben.
Als ich aus Ottawa nach Hause komme, google ich Berthe und Quigg. Sie hat den Schiffsuntergang überlebt, er nicht. Dann suche ich nach Bildern zu »Swimmingpool auf der Titanic «. Ich finde ein paar Abbildungen und Fotos mit der Unterschrift »Swimmingpool wie das auf der Titanic «, ein paar Bilder des Pools auf der Olympic, dem Schwesterschiff der Titanic , und eins, von dem behauptet wird, es sei der Swimmingpool der Titanic . Es ist das Schwarzweißfoto eines Raums, der wie ein Tank aussieht, Wände und Decke sind eisenbeschlagen. An einer Seite befindet sich eine Reihe von Kästen, die wie Umkleidekabinen aussehen. Eine Treppe führt ins Becken, und eine verschwommene Figur steigt hinab. Oben an der Treppe steht eine zweite Figur und sieht zu. Eine kleine Uhr knapp unter der Decke ist die einzige Dekoration. An einem Geländer am Beckenrand hängt ein Rettungsring.
S CHWIMMBRILLEN
1984, als Derek und ich zum ersten Mal an einem Sommerschwimmlager teilnahmen, waren wir besessen von Schwimmbrillen. Mein Idol war die kanadische Meisterin Anne Ottenbrite – eine blonde Brustschwimmerin, die große, runde Speedos trug. Ich wollte auch so ein Paar. Als ich es endlich bekam, fand ich, dass ich viel schneller aussah.
Bei den Olympischen Spielen 1984 in Los Angeles gewann Ottenbrite mit den Speedos Gold auf 200 Meter Brust und Silber auf 100 Meter. Allerdings gewann auch Victor Davis Gold auf 200 Meter Brust und Silber auf 100 Meter, obwohl er eckige Arenas trug, mit schwarzen Gläsern und undurchsichtigem weißen Rahmen. Alex Baumann gewann mit den gleichen Arenas die 200 Meter und 400 Meter Lagen. Also wechselte ich am Ende des Sommers zu einem Paar eckiger schwarzer Arenas, das ich regelmäßig mit Leitungswasser auswusch, wie in der Gebrauchsanweisung empfohlen.
1988, als ich ernsthaft schwamm, erreichte die minimalistische Schwedenbrille Südontario. Sie bestand aus
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