Bahners, Patrick
beschrieben. Diese
Äußerung fand kaum Beachtung, weil sie im wenig prickelnden Zusammenhang des
Berlin-Marketings fiel. «Die Medien lieben es, wenn Krach ist. Das finden sie
toll, und wenn es unterhaltsam ist, auch. Wenn man beides bietet und den
Eindruck erweckt, dass man seine Sache versteht, bekommt man mit der Zeit auch
für kontroverse Stellungnahmen eine relativ hohe mediale Zustimmung.»
Zweifellos hat Sarrazin zum Thema Integration beides geboten, Lärm und
Unterhaltung.
Tatsächlich war die mediale Zustimmung zur «Lettre»-Suada,
Sloterdijk zum Trotz, als relativ hoch einzustufen. So fand etwa in der beliebten
Fernsehsendung «Hart aber fair» von Frank Piasberg die Sarrazin-Debatte am 7.
Oktober 2009 unter der Prämisse statt, in der Sache könne man Sarrazin
offenkundig nicht ans Zeug flicken, man müsse nun darüber streiten, ob er der
Integration durch seine verletzende Wortwahl geschadet habe. Diese Sendung
wirbt mit einem «Fakten-Check», dem Tatsachenbehauptungen unterzogen werden,
die im Meinungskampf als Waffen dienen. Es war aber schon kein Faktum, dass
den Sachaussagen unter den Aussagen Sarrazins vor der Sendung nicht
widersprochen worden wäre. Dabei machte er es keineswegs leicht, ihm zu
widersprechen. So behauptete er, dass siebzig Prozent der Türken und neunzig
Prozent der Araber in Berlin vom Staat lebten und den Staat ablehnten. Die Zahl
der Transferempfänger lässt sich errechnen. Aber woraus hatte Sarrazin auf die
hunderttausendfache innere Tatsache der Ablehnung des Staates durch sieben von
zehn Berliner Türken geschlossen? Des Rätsels Lösung stand im März 2010 in der
«Süddeutschen Zeitung». Freimütig erläuterte Sarrazin, damals in der
Bundesbank noch für die Geschäftsbereiche Risiko-Controlling und
Informationstechnologie zuständig, seine Methode der Produktion statistischer
Evidenz: Wenn man keine Zahl hat, muss «man eine schöpfen, die in die richtige
Richtung weist, und wenn sie keiner widerlegen kann, dann setze ich mich mit
meiner Schätzung durch».
Ein kurioses Bild ergab die Zusammenschau der
bildungspolitischen Ausführungen des Interviews. Zunächst entfaltete Sarrazin
eine Stufentheorie der Integration. «Die erste Vorstufe ist, dass man Deutsch
lernt, die zweite, dass man vernünftig durch die Grundschule kommt, die dritte,
dass man aufs Gymnasium geht, dort Examen macht und studiert.» Das war
sozialdemokratische Bildungspolitik in Reinkultur, der bürgerliche
Neuhumanismus als demokratische Utopie. Vollständig integriert ist der
Akademiker, der ganze Mensch hat Abitur. Als integrationspolitisches Programm
verlangt diese Vision, dass Abiturientenzahlen und Studierquote auf dem
gegenwärtigen Niveau bleiben oder sogar weiter in die Höhe getrieben werden.
Überrascht stieß man zwei Seiten später auf die Forderung Sarrazins, «unsere
Massenuniversitäten» sollten «nicht weiter massenhaft Betriebs- oder
Volkswirte, Germanisten, Soziologen ausbilden, sondern konsequent Qualität
anstreben». Man müsse die Studentenzahlen senken und «die Universitäten von
Massenbewältigung auf Qualität umtrimmen». Der Widerspruch löste sich auf, wenn
man bemerkte, dass Sarrazin hier von den Berliner Universitäten sprach. Doch
wenn man diese eine Äußerung ihrem Zusammenhang wieder einfügte, wurde das Gesamtbild
erst recht bizarr. Sarrazin stellte sich also vor, dass überall im Land die
Massenuniversitäten massenweise integrierte Ingenieure produzieren sollten und
vielleicht auch ein paar Volkswirte und Soziologen, dass aber die drei Berliner
Universitäten in hochselektive Eliteschulen umzuwandeln seien.
Der Schattenriss eines Traumbildes zeichnete sich hier ab:
das Phantasma einer durch administrative Maßnahmen herbeigeführten ethnischen
Sauberkeit. Der Bevölkerungspolitiker, der uns im «Lettre»-Interview unter
Verweis auf das angeblich unbestrittene Wissen der Wissenschaft über die
Vererbung der Intelligenz und die Verdummung der Großstädte belehrte, ist
besessen von der Idee, dass unproduktive Menschen das Bild stören. Berlin soll
sich, wie Sarrazin seinem Interviewer Frank Berberich allen Ernstes erklärte,
durch Abdrängung der Nichtintegrierten sanieren. «Die Schulen müssen von unten
nach oben anders gestaltet werden. Dazu gehört, den Nichtleistungsträgern zu
vermitteln, dass sie ebenso gerne woanders nichts leisten sollten. Ich würde
einen völlig anderen Ton anschlagen und sagen: Jeder, der bei uns etwas kann
und anstrebt, ist
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