Bahners, Patrick
Schriftsteller Martin Walser klassifizierte den
kritischen Versuch Angela Merkels in der «Bild»-Zeitung als «unmöglich» und
rief nach der Entlassung des Ghostwriters - aber wenn wirklich
Regierungssprecher Steffen Seibert oder ein Redenschreiber den Text aufgesetzt
hatte, dann hatte dieser Diener den trockenen Ton der Kanzlerin perfekt
getroffen, ihre Gabe, sich unbeeindruckt zu zeigen, wo die Schulweisheit dem
Politiker rät, vorsichtshalber zum Schein das Gespräch zu suchen. Von Walser ist
bekannt, dass er ohnehin nur lobende Besprechungen für zulässig hält.
Frau Merkel blieb eine Begründung für ihren Verriss nicht
schuldig. Zutreffend fasste sie zusammen, Sarrazin habe «ganze Gruppen der
Gesellschaft ausgegrenzt und verächtlich gemacht». Den Vorwurf, sie habe das
Buch nicht gelesen, parierte sie: «Die Vorabpublikationen sind vollkommen
ausreichend und überaus aussagekräftig, um These, Kern und Intention seiner
Argumentation zu erfassen.» Als Held des Klartexts ließ sich Sarrazin feiern,
doch seine Anhänger brachen in ein klägliches Geschrei aus, als die von ihm als
naiv und feige denunzierten Politiker ebenso deutlich antworteten und das Buch
mit dem Titel «Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel
setzen» nicht nur als gelehrte Meinungsäußerung würdigten, sondern auch als
politische Aktion. Die Kanzlerin, die geschworen hat, dass sie ihre Kraft dem
Wohle des deutschen Volkes widmen, seinen Nutzen mehren und Schaden von ihm
wenden werde, nahm öffentlich die Wertung vor, Sarrazin habe «dem international
hervorragenden Ansehen der Bundesbank» geschadet. Bundesfinanzminister
Schäuble nahm direkt zu der Frage Stellung, ob Sarrazin in seinem Amt untragbar
geworden war. Für die Einschätzung des Falls in der Bundesregierung dürfte die
Erinnerung an den Interview-Skandal leitend gewesen sein. Das
Stillhalteabkommen, das damals zwischen Sarrazin und seinen Vorstandskollegen
getroffen worden war, mag man mit gutem Willen ein Gentlemen's Agreement
nennen. In einer öffentlichen Erklärung hatte Sarrazin anerkannt, «dass
Aussagen eines Vorstands der Deutschen Bundesbank wegen der besonderen Stellung
der Person und der Institution von der Öffentlichkeit mit großer Aufmerksamkeit
und Sensibilität wahrgenommen werden». Anscheinend hatte er aber nie daran gedacht,
sich nun auf seine fachliche Arbeit zu konzentrieren und sich bei
allgemeinpolitischen Äußerungen im Ton zu mäßigen. Stolz präsentierte er sich
mit dem Buch als Unbelehrbarer. Er schlug weiter Krach und sprach an, was sonst
niemand anzusprechen wagte, wie die Rückfallquote bei schwererziehbaren
Muslimen. Die Medienkampagne war darauf berechnet, den größtmöglichen Lärm zu
erzeugen. Sarrazin konnte nicht mehr anders oder wollte nicht mehr anders,
wobei diese Unterscheidung ein Thema für seine Frau oder seine Freunde sein
mochte, aber nicht für die Bundesregierung: Er musste provozieren.
Kühl stellte der Finanzminister fest, Sarrazin habe
«ersichtlich gegen seine Verpflichtungen zur Zurückhaltung» verstoßen. Einzelne
Beobachter sahen die Unabhängigkeit der Bundesbank dadurch gefährdet, dass
Schäuble Journalisten einen solchen Vermerk im Personalaktenstil diktierte.
Aber die Zurechtweisung in unerhörter Förmlichkeit zeigte, wie ernst die
Regierung den Vorgang nehmen musste. Es war undenkbar, dass Sarrazin die
Unabhängigkeit der Bundesbank als Schutzschild missbrauchte, um aus seinem Amt
heraus einen Feldzug gegen die Sozial- und Integrationspolitik der Regierung zu
führen. In der Sache ordnete Schäuble die Thesen von «Deutschland schafft sich
ab» als «vollkommenen» respektive «mediokren Unsinn» ein. Präzise beschrieb
Schäuble Sarrazins Strategie der Aufstachelung der Affekte: Nicht so sehr mit
seinen Behauptungen hoffe der Autor Wirkung zu erzielen als vielmehr mit
Behauptungen über diese Behauptungen. Sarrazin errege Aufmerksamkeit mit
«Tabu-Verletzungen», die gar keine seien. Seine «Rechnung», auf diese Weise
Publizität zu bekommen, dürfe nicht aufgehen. Trotz Schäubles Warnung ging die
Rechnung auf. Eine Unvorsichtigkeit Wulffs trug dazu bei. Sarrazins Vorstandskollegen
hatten ihn vergeblich ersucht, zu professionellem Verhalten zurückzukehren.
Die Bundesregierung hatte zu verstehen gegeben, dass ein Apostel des
Sozialdarwinismus im Zentralbankvorstand den nationalen Interessen schade. In
dieser Lage war wahrscheinlich, dass der Bundesbankvorstand den
Bundespräsidenten
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