Bahners, Patrick
entwürdigenden Vokabulars
einer Logik der Selbstüberbietung. Die Eskalation der Debatte, die in der
Konsequenz der Notwehrsuggestion liegt, wird vom Text selbst vollzogen.
Sloterdijks Oeuvre gehört in die deutsche Tradition einer Vulgärphilosophie,
die den Weltanschauungsbedarf von Gebildeten bedient. Der Bombast und die
vielen Wiederholungen könnten bei diesem raffinierten Autor überraschen. Wo
aber der Leser Argumente als Reize auf sich wirken lässt, da verschafft jede
Variation des schon mehrfach Gesagten einen neuen Kitzel. Und dieser
Redundanzdenker wagt dann zu höhnen, dass von den Kritikern Sarrazins «die
Mechanismen der Trivialmoral in endlosen Schleifen abgespult werden». Der
Affekt gegen das Triviale, das Selbstverständliche und Naheliegende der
Anstandsregeln: ein untrügliches Kennzeichen der Trivialphilosophie.
Helmut Schmidt stellte Sloterdijk zwischen zwei Zigaretten
das Zeugnis aus, mit dem Bild von der Öffentlichkeit als Käfig der Hetzer
«etwas Richtiges» getroffen zu haben. Als Bundeskanzler hatte Schmidt die
Staatsräson der Bundesrepublik im nüchternen Stil Karl Poppers definieren
wollen, nach dessen Lehre die Wissenschaft voranschreitet, indem sie Blasen
zum Platzen bringt. Sarrazin wurde von Schmidt gegen den Vorwurf der
Volksverhetzung mit dem Argument in Schutz genommen, er habe die anstößigen
Sätze «doch gar nicht zum Volk gesagt, sondern in einer esoterischen
Zeitschrift, die bis vorgestern niemand gekannt hat». Wegen der
«diskriminierenden Äußerungen» des Interviews wurde Sarrazin von seinen
Vorstandskollegen gerügt. Er versprach, er werde «in Zukunft bei öffentlichen
Äußerungen mehr Vorsicht und Zurückhaltung walten lassen», und blieb im Amt.
Andersherum gesagt: Er wurde nicht entlassen. Soweit das Vorspiel. Das
Drehbuch für die Staatsaffäre, in die Wulff sich hineinziehen ließ, war geschrieben.
Die Bundesregierung nimmt Stellung
Als Sarrazin ein Jahr später mit einem Buch in die
öffentliche Arena zurückkehrte, konnte von spekulativen Ausflügen beim
intellektuellen Kamingespräch nicht mehr die Rede sein. Punkt für Punkt
wiederholte er die Thesen des Interviews, nun untermauert mit Versatzstücken
wissenschaftlicher Beweisführung. Einen Vorabdruck handelte sein Verlag nicht
mit «Lettre International» aus, sondern mit dem «Spiegel» ebenso wie mit der
«Bild»-Zeitung. Die erste Folge der «großen Serie» in «Bild» trug den Titel:
«Deutschland wird immer ärmer und dümmer!» Als Augenarzt stellte sich der Autor
vor: Die «Sehschärfe der Deutschen» sei «getrübt», weshalb «Fäulnisprozesse im
Innern der Gesellschaft» unbemerkt blieben. Die fettgedruckte These, die
Deutschen schafften sich allmählich ab, erläuterte Sarrazin mit einer
Hochrechnung der Geburtenrate. Im Jahre 2100 werde es nur noch zwischen 200000
und 250000 Geburten in Deutschland geben. An den Hinweis, höchstens die Hälfte
dieser Neugeborenen würden noch «Nachfahren der 1965 in Deutschland lebenden
Bevölkerung sein», schloss er die Spekulation an, «die zuweilen durchscheinende
klammheimliche Freude über die deutsche Bevölkerungsentwicklung» finde ihre
Erklärung darin, dass manche Deutsche ein Aussterben des deutschen Volkes als
gerechte Strafe für die Untaten der Hitlerzeit ansähen. Das demographische
Problem Deutschlands ist für Sarrazin also ein doppeltes: der Rückgang der
Einwohnerzahl und die Ersetzung von Deutschstämmigen durch Einwanderer und
Einwandererkinder. Übersehen worden sei, dass «die Alterung und Schrumpfung der
deutschen Bevölkerung» mit «qualitativen Veränderungen in deren Zusammensetzung»
einhergehe. «Über die schiere Abnahme der Bevölkerung hinaus gefährdet vor allem
die kontinuierliche Zunahme der weniger Stabilen, weniger Intelligenten und
weniger Tüchtigen die Zukunft Deutschlands.»
Degeneration durch Vermischung, Selbstabschaffung durch
Selbsthass: Hier erübrigte sich das Weiterlesen, jedenfalls für Politiker, die
nicht wie der Rostocker SPD-Landtagsabgeordnete Mathias Brodkorb ein gelehrtes
Interesse an den Mutationen der Wissenschaft vom deutschen Volkskörper pflegen.
Die Bundeskanzlerin veröffentlichte über ihren Regierungssprecher eine
Kürzestrezension: «Nicht hilfreich» für die Integrationsdebatte sei der
Vorschlag des Vorstandsmitglieds der Deutschen Bundesbank, den Untergang
Deutschlands durch eine Bevölkerungspolitik auf der Grundlage eines genetischen
Fatalismus abzuwenden. Der
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