Bahners, Patrick
Geschmack der Bevölkerung auseinanderzusetzen, hier und da
neuerdings eben auch mit einem muslimischen Spießertum. Auf diesen Sachverhalt
nahm Hirsi Ali Bezug, um die Frage der F.A.Z. nach den Erfolgen des Dschihad in
Europa zu beantworten. Insgesamt gab sie drei Beispiele für das, was sie mit
einem wirkmächtigen islamkritischen Topos «die schleichende Scharia» nannte,
die stillschweigende Anpassung der europäischen Sitten an das islamische Recht.
Beispiel zwei: In «manchen Gegenden Frankreichs» gebe es nur noch einen
islamischen Supermarkt, ohne Schweinefleisch und ohne Alkohol. Der Begriff der
Gegend umgrenzt in der Geographie der Scharia-Schleichwege die zu Fuß
erreichbare Umgebung einer Wohnung. «Dort muss man nun also mit dem Bus
fahren, wenn man eine Flasche Wein kaufen will.» Auch in manchen Gegenden
Schwedens müssen Weinliebhaber ein Busticket lösen, weil alkoholische Getränke
nicht im Supermarkt verkauft werden, sondern nur in den Monopolläden in
Staatsbesitz. Das ist vom Gesetz so bestimmt und gewollt. Wenn dagegen der
große Lebensmittelladen in einem fast ausschließlich von Muslimen bewohnten
Viertel einer französischen Stadt keinen Alkohol ins Regal stellt, ist das eine
Entscheidung gemäß dem Kalkül von Angebot und Nachfrage. Der Supermarktbesitzer
wird überschlagen, wie viele Kunden er durch die Erweiterung seines
Flaschenrepertoires anziehen und abschrecken würde. Wenn er bei der Bestückung
des Getränkeecks, der Fleischtheke oder des Zeitschriftenständers seinen
persönlichen Präferenzen folgt, ist das sein Risiko. Im niederländischen
Parlament gehörte Hirsi Ali der Fraktion der rechtsliberalen WD an, in
Washington arbeitet sie für die Denkfabrik American Enterprise Institute. Es
ist schon kurios, dass sie den individuellen Einzelhändler verpflichten möchte,
die Grundversorgung der Bevölkerung mit Alkoholika sicherzustellen.
Allerdings tun sich auch andere Freunde des freien
Unternehmertums schwer damit, die Dispositionsfreiheit des Eigentümers als
Grund und Folge der moralischen Neutralität des Privatrechts in allen
Konstellationen zu verteidigen. Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz, das im
Privatrechtsverkehr die Diskriminierung aufgrund der Religion untersagt, wird
als Anschlag auf die Privatautonomie verurteilt. Als aber der Vermieter von
Geschäftsräumen eines Hochhauses in Berlin-Charlottenburg von Mietinteressenten
verlangte, den Mietzins nicht mit Glücksspiel, Pornographie, Prostitution,
Alkohol, Schweinefleisch oder Massenvernichtungswaffen zu erwirtschaften, da
machte die «Bild»-Zeitung mit der Schlagzeile auf: «Erster Mietvertrag mit
Islam-Klausel! Wenn Multi-Kulti zum Irrsinn wird». Immerhin wurde eine Woche
nach Christian Wulffs Bremer Rede noch zugestanden, dass Multi-Kulti nicht
immer Irrsinn ist. Im Kleingedruckten des Artikels stand, dass das gewerbliche
Mietrecht dem Eigentümer fast völlig freie Hand lässt, der bestimmte Nutzungen
ausschließen möchte und die daraus folgende Schrumpfung des Pools potentieller
Mieter hinnimmt. So ist die vermeintliche Anpassung des Rechtsstaats an die
Scharia nichts als die Wahrnehmung von Gestaltungschancen, die der Rechtsstaat
den Rechtssubjekten eröffnet. Dass sich jemand bei der Ordnung seiner Besitz-
oder Familienverhältnisse von moralischen Vorstellungen leiten lässt, die in
einem islamischen, christlichen oder sozialistischen Staat Rechtsqualität
hätten, ist weder illegitim noch systemfremd. Der Ordre public, die Gesamtheit
der Normen, die der privaten Verfügungsgewalt prinzipielle Grenzen ziehen, ist
im Rechtsstaat eben kein Katalog von Anweisungen für jede Lebenslage. Im Rahmen
und mit den Mitteln des Rechts kann sowohl eine Kommune als auch eine
Hausfrauenehe begründet werden. Diese Freiheit beugt kommunistischen Komplotten
und patriarchalischem Ressentiment vor.
Ein Fehlurteil, das es nicht gab
Die Zeitschrift «Cicero» druckte die Rede ab, die Ralph
Giordano für die abgeblasene Kölner Demonstration von Udo Ulfkottes Verein Pax
Europa am 11.September 2007 geschrieben hatte. Giordano hatte seine Verachtung
für das muslimische Recht kundtun wollen: «Ich will sagen dürfen, dass ich die
Scharia, das Gesetz des Islam, für notorisch grundgesetzwidrig halte, für
einen skandalösen Anachronismus, das Fossil einer überholten
geistesgeschichtlichen Epoche und ein schweres Hindernis auf dem Wege zur Reformierung
und Modernisierung des Islam.» Die «schleichende Islamisierung»
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