Bahners, Patrick
dem Willen, erst gar keine Erfahrungen mit Muslimen zu
machen, jede Entschuldigung recht. Man hat sich weismachen lassen, dass der
alltägliche Ausnahmezustand gegeben ist, den die Jesuitenfeinde beschworen:
Niemand kann sicher sein, dass Muslime sich bei einem Versprechen innerlich
nicht gerade das Gegenteil dessen vornehmen, was sie laut aussprechen; jede
Wahrhaftigkeit des Verkehrs ist zerstört. Die Muslime will man sich als Fremde
im elementaren Sinne vorstellen, die nicht akzeptieren, dass die Wechselseitigkeit
von Gesprächen und Geschäften Pflichten begründet. Auch bei Thilo Sarrazin ist
zu lesen, «die Ungläubigen» dürften «bei Bedarf getäuscht und belogen werden».
Beleg: unnötig.
Ralph Giordano behauptet, die Bekenntnisse muslimischer
Vertreter zu den Prinzipien der säkularen Demokratie könnten nicht ehrlich
sein, «wenn es doch die Taqiyya gibt - also die ausdrücklich religiös
sanktionierte Erlaubnis zu Täuschung und Verstellung». In einem Gespräch mit
der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» verneinte Wolfgang Schäuble im Mai 2008
die Frage, ob die Erfahrungen mit der Islamkonferenz den von Giordano
gestreuten Verdacht bestätigt hätten. Unter Berufung auf die deutsche
Islamwissenschaft nannte es der Innenminister «eine Legende, dass die Muslime
sich alle verstellen». Ihm komme die Frage, ob man ihnen glauben könne oder
nicht, «merkwürdig bekannt vor». In der deutschen Geschichte hätten Katholiken
und Protestanten einander jahrhundertelang wechselseitig der theologisch
legitimierten Verlogenheit bezichtigt. Dabei hätten die Protestanten doch auf
ihren Kirchtürmen einen Hahn, um an die Verleugnung Jesu durch Petrus und
damit an die Wetterwendigkeit des Menschen zu erinnern. Gerade die Deutschen
sollten «eigentlich jetzt klug genug sein», sich kein neues Objekt für die
alten Vorurteile aus den Konfessionskriegen zu suchen. Den islamkritischen
Generalvorbehalt gegen die Glaubwürdigkeit muslimischer Gesprächspartner bezeichnete
Schäuble als «institutionalisierte Dummheit». Dass ausgerechnet Schäuble,
damals als Tag- und Nachtwächter um die Sicherheit der Republik besorgt, eine
so entschiedene Entwarnung gab, wies ihn in den Augen der Islamkritik als den
für den Feind nützlichsten Idioten aus. Er bestritt, dass man hinter dem
Sozialverhalten von Muslimen eine Kriegslist vermuten muss, und spielte eben
dadurch die Rolle, die die Kriegslist ihm zugedacht hatte.
Amboss oder Hammer sein
Der Krieg, den die Islamkritik führt, muss mit einem Sieg
zu Ende gehen, dem vollständigen Sieg der einen Partei oder der anderen. Ayaan
Hirsi Ali sagte im Gespräch mit Rogier van Bakel: «Es kommt der Augenblick, da
man den Feind zerquetscht. Und wenn man das nicht tut, muss man damit leben,
dass man von ihm zerquetscht wird.»
Diesem totalen Begriff des Krieges entspricht, dass die
Entscheidung an allen Orten und mit allen Mitteln gesucht wird - auch, zuerst
und zuletzt im Alltag. Im ersten Kapitel der «Himmelsreise» zitiert Neda Kelek
den katholischen Theologen Hans Küng, der in seiner umfassenden
religionskomparatistischen Monographie über den Islam postuliert: «Heute muss
es darum gehen, so gut wir können, von innen zu verstehen, warum Muslime Gott
und Welt, Gottesdienst und Menschendienst, Politik und Recht und Kunst mit
anderen Augen sehen, mit anderen Herzen erleben als etwa Christen.» Kelek wirft
Küng vor, eine Methode der Einfühlung zu propagieren, mit der er «die Plattform
rationaler Erkenntnis» verlasse. Nicht analysieren wolle er, sondern glauben.
«Was theologisch erlaubt sein mag, ist in einem politischen Diskurs nicht
hinnehmbar.» So betreibt die wehrhafte Aufklärungsgesellschaft
Vorwärtsverteidigung auf dem weiten Feld der hermeneutischen Gemeinplätze. Wenn
schon Küngs harmlose Anknüpfung an einen Urgedanken der aufgeklärten
Religionsvergleichung politisch nicht hinnehmbar ist, welcher Freiraum bleibt
dann der historischen Quellenkritik, für die man die Muslime doch gewinnen
will? Küng wird verurteilt wegen Feigheit vor dem Feind in einem Weltbürgerkrieg,
der nicht nur am Hindukusch geführt wird, sondern auch in den Schwimmbecken der
deutschen öffentlichen Schulen: «Im harten integrationspolitischen Alltag ist
eine solche Haltung faktisch eine Kapitulationserklärung
vor jeder Freiheitsenteignung, die sich auf beruft.»
Ayaan Hirsi Ali hat der englischen Übersetzung ihrer
Autobiographie den Titel
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