Bahners, Patrick
Musliminnen reklamierte Recht in
Anführungszeichen. Rechte existieren aber nur dadurch, dass sie in Anspruch
genommen werden. Wenn ein Gericht den Anspruch in letzter Instanz verneint,
heißt das nicht, dass die Klärung überflüssig war und der rechtstreue Bürger
das von vornherein hätte wissen müssen.
Der Rechtsweg als Kriegspfad
Auch Johannes Kandel, der evangelisch engagierte
Dialogexperte der Friedrich-Ebert-Stiftung, rückt Muslime, die den Rechtsweg
beschreiten, in ein sinistres Licht. Muslimische Verbände schaden nach Kandel
der Integration, wenn sie als «Lobbyisten religiöser und kultureller
Identität» Klägern in Musterprozessen beratend zur Seite stehen. Als agierten
Gewerkschaften und Umweltschutzverbände nicht in derselben Weise - und als wäre
nicht das gesamte staatlich subventionierte Kirchenwesen ein verzweigtes
System des Identitätslobbyismus! Kandel fragt: «Warum verfolgten muslimische
Spitzenverbände mit eiserner Beharrlichkeit bis zum Bundesverfassungsgericht
die Durchsetzung ihrer Interpretation des rituellen (betäubungslosen) Schlachtens
(Schächten)?» Man möchte nicht glauben, dass ein von der EKD zu Rate gezogener
Fachmann für Kulturdifferenzen nicht selbst auf die Antwort kommt: weil
Speisevorschriften und die entsprechenden Regeln des Schlachtens einerseits in
den innersten und ältesten Bereich der Religionsausübung fallen und
andererseits das moderne säkulare Bewusstsein zutiefst befremden, so dass eine
Klärung durch das zur letztverbindlichen Auslegung der Grundrechte befugte Gericht
wünschenswert war, zur Wahrung des sozialen Friedens. Mit größerem Recht
könnte man fragen: Warum verfolgten Bischof Huber und Kardinal Sterzinsky in
ökumenischer Sturheit bis zum Bundesverfassungsgericht die Durchsetzung ihrer
Interpretation der Sonntagsruhe, obwohl keine Kirche schließen muss, wenn die
Geschäfte geöffnet werden?
Man stelle sich vor, ein eifriger Beamter bei einer
Tierschutz-Überwachungsbehörde käme auf die Idee, wegen der Aufnahme des Tierschutzes
unter die Staatsziele einem jüdischen Metzger die Ausnahmegenehmigung zum
Schächten zu entziehen. Wenn dann der Zentralrat der Juden in Deutschland den
Metzger beim Gang vors Verwaltungsgericht unterstützen würde, ließe kein
Experte für den christlich-jüdischen Dialog den guten Rat drucken, die Juden
sollten nicht ohne Not die moralische Empfindlichkeit der Mehrheitsbevölkerung
provozieren. In der Rezension eines Buchs zum Kopftuchstreit, die er gemeinsam
mit einem Kollegen verfasste, hat Kandel geschrieben: «Der demokratische Staat
ist qua Rechtsstreit gezwungen worden, auf einen religiösen Anspruch zu
reagieren, der die Verhüllung von Frauen als zeitlos gültige Vorschrift
dekretiert und kompromisslose Akzeptanz dieses Anspruches auch für Schulen und
Behörden einfordert.» Das stellt nun alles auf den Kopf. Baden-Württemberg hat
das Kopftuch als abstrakte Gefährdung des Schulfriedens definiert und die
pragmatische Konfliktlösung der Einzelfallprüfung abgelehnt. So wollte das Land
Fereshta Ludin zwingen, entweder auf das Kopftuch zu verzichten oder auf die
Tätigkeit im Staatsdienst. Sie wehrte sich gegen einen Verwaltungsakt auf dem
dafür vorgesehenen Weg - und wird deshalb von Kandel in die Rolle des
Aggressors gesteckt. Unbedingt abwehrbereit ist dieser professionelle Dialogwächter,
ein Dr. Seltsam des Kulturkriegs, der die inneren Feinde der Demokratie
erfinderisch vermehrt.
Schaukampf im Schwimmbad
Schulunterricht findet im Klassenverband statt. Aus
pädagogischer Sicht ist es immer zu bedauern, wenn einzelne Schüler auf Wunsch
der Eltern an einzelnen Gemeinschaftsaktivitäten nicht teilnehmen. Wenn
Politiker dafür werben, dass muslimische Eltern ihre Töchter in den
Schwimmunterricht und auf Klassenfahrten schicken, setzen sie sich für das
pädagogisch Wünschenswerte ein und verstoßen insoweit nicht gegen das Gebot der
religiösen Neutralität des Staates. Es ist aber problematisch, solche Fragen
des persönlichsten Empfindens ausdrücklich zum Test der
Integrationsbereitschaft zu machen. Die Schamvorstellungen von Eltern, die nach
Maßgabe heiliger Schriften und Traditionen künstliche Vorkehrungen zum Schutz
ihrer heranwachsenden Töchter treffen, mögen irritieren. Von der Erörterung
dieser Befangenheiten ist freilich wenigstens ein Minimum an Takt zu verlangen.
Durch dauernde Thematisierung sind Probleme mit höchster symbolischer Bedeutung
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