Bahners, Patrick
«Aschaffenburger Gesprächen»
wiederbegegnete, stellte er ihn zur Rede. Er, Giordano, sei Zeuge gewesen, und
Neda Kelek sei Zeugin gewesen, als er, Mazyek, gesagt habe, die Scharia sei mit
dem Grundgesetz vereinbar. Ob er diesen Satz vor Publikum und Kameras
wiederholen wolle? Mazyeks Antwort: Ja. Was hatte Giordano erwartet? Mazyek
ist Medienberater von Beruf und Mitglied der FDP. Der smarte Aachener verwendet
große Sorgfalt darauf, dass die Selbstdarstellung seines Verbandes mit dem
Gesellschaftsbild der religionsfreundlichen Schule der liberalen
Staatsrechtslehre der Bundesrepublik harmoniert. Natürlich wollte Mazyek den
Satz des Anstoßes so verstanden wissen, wie Rohe die Perspektiven einer
Schariarezeption in den Schranken des Grundgesetzes umreißt: Muslime können in
Deutschland ihr Leben an den Leitlinien des islamischen Rechts ausrichten,
ohne mit Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatsprinzip in Konflikt zu
geraten.
Alle über die fünf Grundpflichten (Glaubensbekenntnis,
Gebet, Fasten, Almosen, Pilgerfahrt) hinausgehenden Vorschriften erklärte Mazyek
in Aschaffenburg für «disponibel». Wie viele der hergebrachten, von
Rechtsgelehrten eingeschärften Verhaltensregeln der Zentralrat in Verhandlungen
mit den Behörden tatsächlich zur Disposition gestellt hat, steht auf einem
anderen Blatt. Für Giordano war aber schon Mazyeks Bekenntnis zur Möglichkeit
eines grundgesetzkonformen und schariageleiteten muslimischen Lebens eine
unerträgliche Provokation, ein Anschlag auf die Verfassung durch Verbreitung
einer evidenten Unwahrheit über sie: «Taqiya in Reinkultur». Im Interview mit
«Compass» legte Giordano dar, dass mit einem solchen Verbalattentäter kurzer
Prozess gemacht würde, wenn es nach ihm ginge. Die Aussage, Scharia und
Grundgesetz seien nicht unvereinbar, müsste automatisch die Ausweisung nach
sich ziehen, auch bei einem deutschen Staatsbürger wie Mazyek. «Meine
Auffassung von Demokratie ist: am Kragen gepackt, raus aus Deutschland. Das ist
meine Auffassung von Demokratie.»
Von Frankreich lernen
Alice Schwarzers Auffassung von Demokratie ist
jakobinisch. In Paris hat sie vor 1968 studiert und nach 1968 als
Korrespondentin gearbeitet. Heute ist ihr Idol der Erbe des Generals de
Gaulle, Nicolas Sarkozy. Schon das schneidige Auftreten des Innenministers
brachte sie zum Schwärmen. Sarkozy habe die Jugendgewalt in den Vorstädten als
kulturelles Problem erkannt und benannt - und damit die Macht der von den
Revolutionsnostalgikern unter den Linksintellektuellen errichteten Tabus des
Multikulturalismus gebrochen. Als Sarkozys Verdienst feierte Frau Schwarzer das
Kopftuchverbot für Schülerinnen. Nachdem er auch das Burkaverbot zu seiner
Sache gemacht hatte, das nicht auf die staatliche Sphäre der Schulen und
Behörden beschränkt ist, konnte sie zufrieden Bilanz ziehen: «Präsident
Sarkozy ließ sich nicht einschüchtern.» Eines der Kapitel in «Die große Verschleierung»
heißt «Exempel Frankreich». Inwiefern soll der französische Laizismus der Ära
Sarkozy Deutschland ein Beispiel geben? In Frankreich, schrieb Alice Schwarzer
im April 2003, gebe es «eine Regierung, die begriffen hat, worauf es ankommt:
auf die Unterstützung der überwältigenden Mehrheit der nicht gläubigen, nicht
fundamentalistischen Musliminnen, die selbstverständlich für eine Trennung von
Staat und Kirche und gegen die Gottesstaatlerei sind». Zuerst glaubt man an
einen Druckfehler. Müsste es für die französische Regierung nicht auf die
republiktreuen gläubigen Muslime ankommen, wenn sie die Fundamentalisten
isolieren will? Nein: Die Gläubigen, und zwar aller Religionen, müssen sich
sagen lassen, im Zweifel sei auch ohne sie und gegen sie Staat zu machen. Es
kommt nicht auf sie an: Das ist sowohl normativ gemeint als auch
machtpolitisch, arithmetisch. «Nur zehn bis zwanzig Prozent der französischen
Muslime sind überhaupt religiös aktiv, und nur ein geringer Teil dieser Gläubigen
wiederum sind Fundamentalisten.» Frankreich definiert sich als eine und
unteilbare Republik. Nach der jakobinischen Auslegung dieses Prinzips soll die
Gesellschaft so homogen sein wie der Staat: Die Mehrheitsherrschaft gebietet,
dass alle Lebensordnungen im Sinne der Mehrheitsmoral umgestaltet werden.
1991 erschien in «Emma» ein Artikel von Elisabeth Badinter
mit dem Titel «Das Kopftuch ist ein politisches Symbol!» Die Philosophin, die
mit Robert Badinter verheiratet ist, der als Justizminister
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