Bahners, Patrick
unter Präsident
Mitterrand die Abschaffung der Todesstrafe ins Werk setzte, wurde berühmt mit
ihrem Buch über die Mutterliebe, die sie für eine kulturelle Fiktion hält. Sie
kritisiert im Namen des Universalismus der Menschenrechte alle Richtungen des
Feminismus, die an den Unterschied und nicht an die Gleichheit der Geschlechter
politische Forderungen knüpfen. Der Kopftuch-Artikel ist ein immer wieder
nachgedruckter Klassiker: In unüberbietbarer Klarheit entfaltet der kurze
Beitrag die Gründe einer Verbotspolitik, die über die Schule hinausdrängt und
konsequenterweise zuletzt auch das privat getragene Kopftuch nicht mehr dulden
kann. Wenn zwei Mädchen in der Pubertät dasselbe tun, ist es nicht dasselbe:
«Eine zerfetzte Jeans anziehen, sich die Haare gelb oder blau färben, das sind
Befreiungsakte gegen die geltenden Konventionen. Aber seine Haare unter einem
Kopftuch verstecken, das ist ein Akt der Unterwerfung. Er überschattet das
ganze Leben einer Frau, ihr Vater oder ihr Bruder werden ihr einen Mann
aussuchen, der mehrere Frauen heiraten darf.» Ist wirklich jedes Mädchen, das
ein Kopftuch überzieht, damit zu einem Nebenfraudasein verdammt? Statistisch
muss dieser Zusammenhang nicht belegt werden. Auf das Zeichen kommt es an. So
bekämpfte der Staat der Französischen Revolution den Nonnenschleier. Die
Frauenklöster wurden aufgehoben, weil die Nonnen ein schlechtes Beispiel der
Untätigkeit und des Aberglaubens gaben. Nur die arbeitende Frau ist für diese
französische Ideologie ein vollständiger und gleichwertiger Mensch, daher
müssen Sonderwelten weiblicher Frömmigkeit verschwinden.
Elisabeth Badinter stellte 1991 fest, die muslimischen
Frauen seien besser integriert als die Männer. Interessant ist die Liste der
von ihr aufgezählten Vorteile: «Schule, Verhütung, Abtreibung». Alice Schwarzer
schlug 2009 die Brücke zur anderen großen «Emma»-Kampagne und beschwor die
Kontinuität des laizistischen Kampfes:
«So wie bei den Vertretern Jesu die Abtreibung steht bei
den Vertretern Mohammeds das Kopftuch im Fokus.» Nicht nur die frommen
Christen unter den Sympathisanten der Islamkritik dürften an dieser Stelle ins
Grübeln geraten. Der Liberalisierung des Abtreibungsrechts lag die Einsicht
zugrunde, dass ein strafrechtliches Verbot die Motive der abtreibenden Frau als
verwerflich abstempelt und ihr insofern im übertragenen Sinne das rechtliche
Gehör verwehrt. So geht das Kopftuchverbot über die Motive der Trägerin hinweg
- und das bei einer Handlung, die nur sie selbst betrifft. Im Widerspruch zum
liberalen Begriff des Rechtsstaats qualifiziert das Gesetz die Handlung als unfrei,
auch wenn äußerer Zwang nicht nachzuweisen ist. Der Kreuzzug der «Emma» gegen
die Muslime beiderlei Geschlechts ist ein bemerkenswertes Datum in der
Geschichte des Feminismus. Wie eine Religion oder eine andere soziale Bewegung
zu staatlichen Kulturgesetzen steht, das variiert mit ihrer eigenen
Machtposition. In der Diaspora tritt die katholische Kirche besonders eifrig
für die Religionsfreiheit ein. Die Frauenbewegung sieht sich heute offenbar ein
für allemal auf der Seite der Sieger: So kann Alice Schwarzer der Minderheitenschutz
egal sein. Die von Sarkozy befohlene Räumung der Roma-Lager im Sommer 2010 zog die
letzte Konsequenz aus Elisabeth Badinters Kritik am postmodernen Artenschutz
für kulturelle Differenzen.
Der antiliberale Geist des jakobinischen Feminismus
manifestiert sich bei Alice Schwarzer auch im Stil. Ständig begegnet die
islamkritische Standardwendung von der falschen oder falsch verstandenen Toleranz.
Das eigene Verständnis ist natürlich das richtige. Fremd ist diesem fanatischen
Rationalismus, dass zur Meinungsfreiheit das Experimentieren gehört, dass sich
oft erst aus der Debatte, im Zuge von Rechtsstreitigkeiten und in der Praxis
herausstellt, was eine freie Gesellschaft dulden kann und will. Wenn Alice
Schwarzer und ihre Mitstreiterinnen die islamistische Unterwanderung der
Justiz beschwören, dann glauben sie wahrscheinlich nicht, dass die Bartträger
unter den hohen Richtern sich in Hinterzimmern von Moscheen treffen wie
Spitzenkader des französischen Staates in den Freimaurerlogen. Ihrem rigorosen
Laizismus ist es schon ein Ärgernis, dass Gerichte überhaupt prüfen, ob der
Religionsfreiheit zuliebe Ausnahmen von der Befolgung gesetzlicher Pflichten
gemacht werden können. Wenn es um das Kopftuch oder den Schwimmunterricht
geht, setzt Frau Schwarzer das von
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