Bahners, Patrick
Hans-Jürgen Irmer, Oberstudienrat
a.D., ist nach wie vor schulpolitischer Sprecher seiner Fraktion und setzt in
dieser Funktion seinen Kampf gegen die Einführung eines islamischen Religionsunterrichts
fort. Im Oktober 2010 wurde er sogar zum Sprecher der schulpolitischen
Sprecher aller CDU-Landtagsfraktionen gewählt.
Missionserfolge der Islamkritik
Die Islamkritik ist ein System von Sätzen, aber nicht bloß
ein logisches Gebilde, sondern zugleich eine Ballung von Stimmungen, ein
Syndrom des Ressentiments. Vielleicht hätten sich die wenigsten Hessen, die in
Leserbriefen einen Satz Irmers diskutabel oder sogar evident richtig nannten,
von ihm das ganze Paket von Vorurteilen aufschwatzen lassen. Aber die
Absatzchancen waren gut. In dem guten Willen, auf Besorgnisse der Bevölkerung
einzugehen, haben die Politiker im Lauf der Jahre in einem erschreckenden
Ausmaß Kategorien und Problembeschreibungen der Islamkritik übernommen, und
zwar auch dort, wo sie Sorgen ausräumen wollen. «Wenn Menschen Angst vor Parallelgesellschaften
haben, dann gehen wir gegen diese Ängste nicht vor, indem wir sie tabuisieren
und verschweigen.» Mit diesem Argument verteidigte der CDU-Abgeordnete Rolf
Müller in der Landtagsdebatte über Irmers Dank an die Schweiz die Sprache des
«Wetzlar Kuriers», wobei er für seine Person erklärte, dass die «Zuspitzungen
der Formulierungen» des Blattes «nicht immer» seine Sache seien. Den Grünen
hielt Müller entgegen, sie wüssten doch am besten, «dass Provokation ein Mittel
ist, mit welchem man überhaupt erst einmal Diskussionen anstößt». Damit über
Parallelgesellschaften überhaupt geredet werden kann, erzwingt eine
provokative Sprache die Gesprächseröffnung. Ein Politiker, der so redet,
akzeptiert einen Hauptgedanken der Islamkritik. Dahinter steckt ein
fundamentales Misstrauen gegenüber der demokratischen Öffentlichkeit. Mit der
fixen Idee einer Verschwörung des Schweigens wird ein radikaler Zweifel an der
Legitimität der Politik transportiert, die maßgeblichen Anteil am Aufsetzen der
Tagesordnung des öffentlichen Gesprächs hat.
Müller wollte auch die Verse über die Unterwanderung durch
Andersdenkende, die es sich in unserem Sozialsystem bequem machen, als Mittel
einer publizistischen Strategie verstehen, die Ängste nicht schüre, «sondern
auf Ängste eingeht, die doch in dieser Gesellschaft existieren». Zehn Monate
später, im November 2010, gab Volker Bouffier, mittlerweile Ministerpräsident,
sein Interview in der «Frankfurter Rundschau». Seltsamerweise warb er dort um
Verständnis auch für Irmer, indem er den erfahrenen Landespolitiker der
verängstigten Bevölkerung zuschlug. Dass Sätze wie «Der Islam ist auf die Eroberung
der Weltherrschaft fixiert» plausibel wirken, ist nach Bouffier der Reflex
einer Presseberichterstattung, die nur noch blutrote Schlagzeilen kennt. Wenn
Politiker wirklich alle Ängste ernst nehmen wollen, die in dieser Gesellschaft
existieren, dann ist es nur konsequent, dass sie auch die Angstvorstellungen
von Politikerkollegen als eine ernste Angelegenheit ansehen. Aber was ist aus
der aufklärenden Wirkung einer durch zuspitzende Formulierungen in Gang
gebrachten tabulosen Diskussion geworden? Wie wäre es, wenn ein Regierender das
Publikum zur Abwechslung einmal mit dem Hinweis provozierte, dass man sich
Angst auch einreden lassen kann? Hans-Jürgen Irmer hat immer wieder Klage
darüber geführt, wie ihm von der Presse mitgespielt wird. Aber er hat wohl
nicht damit gerechnet, einmal in der «Frankfurter Rundschau» lesen zu müssen,
dass sein Ministerpräsident und Landesvorsitzender ihn für ein Opfer seiner
Mediennutzung hält. Bouffiers Vorgänger Koch hatte in seinem Glückwunsch zum Jubiläum
des «Wetzlar Kuriers» geschrieben, das Blatt habe sich vom Meinungsträger zum
Meinungsbildner entwickelt, um dessen Zukunft ihm nicht bange sei. Die Macher
der Zeitung könnten mit Recht stolz auf das Erreichte sein: Tatkraft und
Engagement Einzelner führten zu ganz neuen Ergebnissen. Irmer hat das
Stehvermögen und den Starrsinn des Einzelkämpfers, und gelegentlich entstand
der Eindruck, er sei mit seinen islamkritischen Ansichten in der CDU isoliert,
werde im Landtag nur pflichtgemäß verteidigt. Aber er konnte auf Zustimmung
rechnen in einer ökumenischen Lesergemeinde, die, von der säkularen Presse
gewöhnlich nicht beachtet, von Wetzlar aus versorgt wird und Verbindungen in
die ganze Welt unterhält.
Der Wahlkreis
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