Bahners, Patrick
was die Einheit von Staat und Religion und
die Herrschaft des Glaubens über das Leben betreffe. Sondern auch im Verhältnis
zur Zeit: «Während man im Abendland vergleichsweise kurzfristig denke, gebe es
im islamischen Glauben immer eine langfristige Planung.» Und da hatte man im
Abendland den Orientalen jahrhundertelang als trägen Gesellen gesehen, der
planlos in den Tag hineinlebe. Das war wahrscheinlich auch eine langfristig
eingefädelte Täuschung.
Drei Jahre später lud die CDU Lahn-Dill Ulfkotte, der inzwischen
den Verein Pax Europa e.V. gegründet hatte, noch einmal ein. Mit zahlreichen
Beispielen aus dem Alltag illustrierte Ulfkotte seinen Befund, dass Europa
einen «Tsunami der Islamisierung» erlebe. Nicht irgendwann in der Zukunft werde
Europa zum Schlachtfeld der Kulturen werden, «wir befinden uns längst auf
diesem». Die eingewanderten Muslime praktizierten die «psychologische
Kriegsführung». Was die Islamkritik ausmacht, ist die Überzeugung von der
Einheit der Bedrohung, der Identität von demographischer, politischer und
religiöser Gefahr. Dass Versäumnisse der Integration das Zielpublikum
islamistischer Prediger wachsen lassen, ist eine Betrachtung, die das Wesen der
Gefahr verkennt. Erfolge der Integration verbessern schließlich erst recht die
Aussichten der muslimischen Mission. Der Westen hat keine Probleme, sondern
einen Feind.
Alle Sätze Irmers, die der Landtag im April zoio
verurteilte, mit Ausnahme der auf die Person von Aygün Özkan zielenden
Invektiven, ergeben sich aus seinen Grundauffassungen, wie sie sein Weggefährte
in Reime gebracht hatte. In seiner Entschuldigungsrede erläuterte Irmer nicht,
in welchem Sinne seine «Formulierungen» denn «falsch» gewesen waren. Dass sie
«über das Ziel hinausgegangen» seien, beschrieb sie nur als unklug und
unvorsichtig. Solch eine Entschuldigung mit Rücksicht auf die
Empfindlichkeiten von Teilen des Publikums hatte auch Sarrazin nach dem
«Lettre»-Interview abgegeben. Natürlich war es nicht Irmers Anliegen, pauschal
irgendeine Weltreligion zu diskreditieren. Seine Mission ist es seit
Jahrzehnten, die Gefährlichkeit einer bestimmten Weltreligion genau zu
dokumentieren. Muslimen die Endabsicht zuzuschreiben, die ihr Glaube ihnen vorschreibt,
konnte nach Irmers Begriffen nicht diskreditierend sein. Denn, so auch die
Devise der Sarrazin-Apologeten, die Feststellung von Tatsachen über fremde
Religionen, fremde Sitten und fremdes Denken ist als Tatsachenfeststellung per
definitionem, um noch einmal den Wetzlarer Dichter zu zitieren, «weiß Gott
kein Fremdenhass». Schon am Ii. Mai 2010, zwei Wochen nach seiner Entschuldigung für den
«großen Fehler», ließ Irmer sich in der «Wetzlarer Neuen Zeitung» mit dem Satz
zitieren: «Dass der Islam die Weltherrschaft anstrebt, ist überall
nachzulesen.»
Die Mehrzahl der Leser, die sich in Zuschriften an die
Rhein-Main-Ausgabe der «Frankfurter Allgemeinen Zeitung» zum Fall Irmer äußerten,
bekundete Unverständnis über das Vorgehen des Landtags. Die inkriminierten
Aussagen seien «an Harmlosigkeit nicht zu überbieten», der Satz über die
Weltherrschaft «nichts anderes als die sachlogische Schlussfolgerung aus
historischen Fakten und gegenwärtigen Zuständen» oder jedenfalls «eine gut
vertretbare These, die sehr viele Menschen für richtig halten». Als die CDU
sich nach jahrelangem Weghören schließlich dazu bereitfand, Irmer zur Ordnung
zu rufen, spiegelten seine islamfeindlichen Auffassungen längst so etwas wie
den Common Sense in ihrer Anhänger- und Wählerschaft. Die Maßregelung Irmers
fiel in die Zeit zwischen Teil 1 und Teil 2 der Sarrazin-Debatte. Dass ein
Parlament sich mit dem Gebrauch beschäftigt, den ein Abgeordneter von seiner
Meinungsfreiheit macht, muss die Ausnahme bleiben. Eine Rüge wird sich
tunlichst auf die Missbilligung einzelner Aussagen beschränken. Wie eine Partei
mit den Tönen umgeht, die einer ihrer Exponenten anzuschlagen liebt, mit den
Einstellungen, die er zu erkennen gibt, und den Verbindungen, die er pflegt,
das muss sich in der alltäglichen politischen Arbeit zeigen, in Aufträgen,
Redezeiten und Listenplätzen. Die Sprache - von Wahlkampfreden und Broschüren,
von Interviews für die Zeitung und von Sprüchen fürs Fernsehen - und die
Personalauswahl sind die Medien symbolischer Kommunikation in der Demokratie.
Die Selbstdarstellung der Parteien in Wort und Kopf ist so oder so wohl die
wirksamste Form der politischen Bildung.
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