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Bahners, Patrick

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Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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Ämtern
unabhängig vom religiösen Bekenntnis ist. «Niemandem darf aus seiner
Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem Bekenntnisse oder einer
Weltanschauung ein Nachteil erwachsen.» Wenn die Eignung für den Lehrerberuf so
definiert werden soll, dass die Befolgung einer nach der Lehre einer
bedeutenden Strömung eines großen Bekenntnisses verbindlichen Lebensregel
ungeeignet macht, dann genügt dem Bundesverfassungsgericht nicht, dass sich im
Zusammenwirken von Ministerien und lokalen Schulbehörden eine entsprechende
Verwaltungspraxis herausbildet.
    Ironie der Geschichte des Rechtsstaats: Die Härte der
deutschen Kopftuchregelungen hat ihren wesentlichen Grund darin, dass das
Bundesverfassungsgericht auf der hohen Hürde eines förmlichen Gesetzes
bestand. Das allgemeine Gesetz wurde als allgemeines Verbot ausgestaltet. Kein
Landesgesetz sieht eine Einzelfallprüfung vor. Ein zweites Paradox: Auch der
Föderalismus begünstigte eine einheitliche, drakonische Normierung. Die
Festlegung Baden-Württembergs, dass mit dem Kopftuch ein ideeller Angriff auf
die Toleranz in der Schule, die Neutralität des Staates und die Gleichheit der
Geschlechter abgewehrt werde, löste einen Nachahmungszwang aus, dem sich die
meisten betroffenen Länder fügten.
    Der Effekt des Teppichs der Kopftuchgesetze kommt einem
Berufsverbot gleich. Dass der abzuweisenden Bewerberin nicht persönlich eine
unfriedliche Absicht unterstellt wird, hilft ihr nicht. Mehr als neunzig
Prozent der Schüler in Deutschland besuchen staatliche Schulen. Die drei
West-Länder ohne Kopftuchverbot haben zusammen nur halb so viele Einwohner wie
Nordrhein-Westfalen. Zwar unterrichtet Fereshta Ludin heute an einer
Privatschule, aber ein islamisches Privatschulwesen steckt noch in den
Anfängen. Der Kopftuchstreit war die erste große Kontroverse über den Platz des
Islam im öffentlichen Leben. Die Dynamik, die der Streit gewann, hat auf
unabsehbare Zeit festgelegt, wie über den Islam geredet wird, wie Muslime
angesehen und behandelt werden. Die nachhaltigste Wirkung hatte der hypothetische
Charakter der Erörterungen über den Signalcharakter des Kopftuchs. Das
Bundesverfassungsgericht hat ausgeführt, es komme auf den «objektiven
Empfängerhorizont» an. Die Forderung des Gerichts, «alle denkbaren
Möglichkeiten, wie das Tragen eines Kopftuchs verstanden werden kann, bei der
Beurteilung zu berücksichtigen», zielte wohl darauf, Kontexte für die
Selbstauslegung der Trägerin sichtbar zu machen, eine Vieldeutigkeit des
Zeichens, die eine tolerant und neugierig gestimmte Öffentlichkeit dazu bewegen
mochte, extremistische Lesarten zu verwerfen. Das genaue Gegenteil trat ein.
Die Berücksichtigung aller denkbaren Möglichkeiten lief auf eine
Gleichbehandlung der Interpretationen hinaus. Unabsichtlich hat das Gericht
eine Hermeneutik des Verdachts gerechtfertigt. Denn das Denkbare, noch nicht
Gedachte, das es ausdrücklich für relevant erklärte, ist ja im Zweifelsfall
das Hergeholte und Abwegige. So schließt der objektive Empfängerhorizont, wie
er von den Landesgesetzgebern gezogen wurde, die schlimmsten Befürchtungen
nicht nur ein; diese schlimmsten Befürchtungen werden sogar zum
Bestimmungsgrund des gesetzgeberischen Handelns im Zeichen der Gefahrenabwehr.
    Wo sich im öffentlichen Raum und zumal im engen
öffentlichen Raum Angehörige verschiedener Religionen begegnen, da müsste die
Maxime, einen friedlichen Ausgleich zu suchen, der Rechte schützt und
Empfindlichkeiten schont, gar nicht aus der Rechtsprechung des
Bundesverfassungsgerichts zu Artikel 4 des
Grundgesetzes hergeleitet werden. Eher übersetzt umgekehrt diese Rechtsprechung
die moralischen Intuitionen einer freien Gesellschaft, die Standards, an denen
tolerante Zeitgenossen ihr Alltagsverhalten gemessen sehen wollen, in
Faustregeln für staatliche Dispositionen, die bisweilen etwas salbungsvoll
klingen. Die Suche nach pragmatischen Lösungen wurde durch den Kopftuchstreit
außerordentlich erschwert. Mit dem Islam wird Politik gemacht, und diese
Politik verfolgt ein Programm der Prävention. Die Richter hatten mit dem
technischen Begriff der abstrakten Gefahr eine Eventualität gemeint, die nicht
mit hinreichender Sicherheit vorhergesagt, aber auch nicht vollends
ausgeschlossen werden kann. In der politischen Logik wurde die Abstraktheit
der Bedrohung zum Indiz der Gefährlichkeit. Wo nichts von Schülern erzählt
werden konnte, auf die Fereshta Ludins Kopftuch unheimlich gewirkt

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