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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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neutral ausüben, dass er Glaubensgenossen nicht begünstigen darf. In
einem weiteren Sinne mag man als Neutralität eine Tugend umschreiben, die zum
Berufsbild des Beamten gehört: Er hat sich persönlich zurückzunehmen. Für den
gläubigen Lehrer, der andere Klienten und andere Gegenstände hat als ein
Finanzbeamter, folgt daraus zwanglos, dass er seine Frömmigkeit nicht ungefragt
Thema werden lässt, auf etwaige Fragen knapp und sachlich Auskunft gibt und
insgesamt darum so wenig Aufhebens wie möglich macht. Vom Beamten kann aber
nicht verlangt werden, dass er sich neutral gegenüber dem eigenen Glauben
verhält beziehungsweise diese Neutralität fingiert, indem er die Befolgung
einer Glaubenspflicht unterlässt, die ihn in der Wahrnehmung seiner
dienstlichen Obliegenheiten nicht behindert.
     
    Das entscheidende Missverständnis
     
    Das Sondervotum wirft Fereshta Ludin ein «provozierendes»
und «herausforderndes Verhalten» vor. Mit der Pflicht zur Mäßigung sei
«jedenfalls nicht zu vereinbaren, dass der Beamte den Dienst im Innenverhältnis
prononciert als Aktionsraum für Bekenntnisse, gleichsam als Bühne
grundrechtlicher Entfaltung nutzt». Hier haben wir den neuralgischen Punkt der
Kopftuchdebatte erreicht, das entscheidende Missverständnis. Nur durch das
Ungewöhnliche des Erscheinungsbildes der Kopftuchträgerin entsteht der
Eindruck der Provokation. Sie trägt in der Klasse keine andere Kleidung als an
jedem anderen öffentlichen Ort. Wenn sich Schüler herausgefordert fühlen, mag
das ein pädagogisches Problem sein, dessen Lösung zunächst auf den dafür in
Schulen vorgesehenen Wegen der Beratung und Aussprache zu suchen ist. Die
Absicht der Herausforderung kann aus dem Tragen eines Kleidungsstücks nicht
geschlossen werden, das die Trägerin gemäß ihrer unwidersprochenen Aussage in
der Öffentlichkeit gar nicht ablegen kann. Der Klassenraum als Bühne für
Privatanliegen mit dem Körper des Lehrers als wichtigstem Requisit: Es fallen
einem leicht Beispiele für die Übergriffe ein, die mit diesem plastischen Bild
gemeint sind. Das T-Shirt des Evangelikaien mit dem Slogan «Geh doch zur Hölle!
Oder komm mit zu Jesus!» oder der Dornengürtel um den Oberschenkel, den das
Opus-Dei-Mitglied wie zufällig entblößt, wären Anlässe für Disziplinarverfahren.
Dem Kopftuch geht dagegen das Prononcierte, Überbetonte, ab. Es ist nichts
anderes als ein notwendiges Stück der Kleidung, die diese Muslimin nach ihrem
Empfinden schicklicherweise anzulegen hat, wenn sie das Haus verlässt.
    Verwirrung ist durch eine stillschweigende Übereinkunft
der Kopftuchdebatte entstanden: Man will das Kopftuch von vornherein als
Zeichen oder noch spezifischer als Symbol verstehen, dem eine bestimmte
Bedeutung entsprechen soll. Hassemers «Wir wissen noch nicht genug» war von
einem Zeichen Verständnis im Sinne Ludwig Wittgensteins inspiriert. Nach
Wittgenstein ist die Bedeutung eines Wortes sein Gebrauch in der Sprache. So
sollte der Sinn des Kopftuchs sein Gebrauch in der sozialen Praxis sein. Die
Politiker und sonstigen Meinungsmacher dachten nicht daran, sich auf das von
Hassemer propagierte Forschungsprojekt einzulassen, sondern produzierten lieber
Bedeutungen des Kopftuchs durch Reden über das Kopftuch. Aber ohnehin war
Hassemers Ansatz noch zu lexikalisch. Die Vorstellung einer im Gebrauch
verborgenen und erst noch freizulegenden Bedeutung begünstigte esoterische
Deutungen. Karlsruhe stellte das Kopftuch als Rätsel hin, und in den
Landesparlamenten wurden mehr oder weniger einfache Lösungen gefunden. Die
Debatte, ob das Kopftuch nun ein Zeichen der Frömmigkeit oder des Extremismus
ist, der Unterwerfung unter den Mann oder der Rebellion gegen die Eltern, des
Protests gegen westliche Unmoral oder des Willens zur Selbstbestimmung, ging
hinweg über den Sinn des um den Kopf geschlungenen Stücks Stoff, der in die
Augen fällt, wenn man es sieht.
    Es gibt im Alltag ein selbstverständliches Verstehen ohne
Sprache, gerade im Umgang mit Unbekannten und Fremden. Man registriert Gesten
und Blicke, man notiert, womit ein Mensch seine Blöße bedeckt. Mit wem hat man
es zu tun, wenn man einer verschleierten Frau begegnet? Sorgfalt hat sie auf
ihre Kleidung verwendet, ihr ist nicht gleichgültig, wie sie sich zeigt. Sie
schützt sich vor zudringlichen Augen und will ihrerseits nicht aufdringlich
sein. Mit einem Blick ordnen wir ihre Erscheinung einem elementaren
moralischen Gefühl zu, für das der Begriff der

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