Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
Vom Netzwerk:
Scham steht. Diese Regung ist
nicht gesellschaftsfeindlich. Im Gegenteil, sie meldet sich nur in einem
sozialen Zusammenhang. Die Person gibt zu erkennen, dass sich ein bestimmtes
Auftreten für sie so gehört. Und für mich gehört es sich dann, auf diese
Empfindlichkeit Rücksicht zu nehmen. Das ist kein absolutes und letztes, aber
doch ein erstes Gebot. So fängt das friedliche Zusammenleben an.
    Als provozierend und herausfordernd wird nun bei der
muslimischen Lehrerin ein Erscheinungsbild bewertet, das in jedem anderen
Kontext als Illustration der Sittsamkeit dienen würde. Sie lasse es an der für
einen Beamten gebotenen Zurückhaltung fehlen, lautet der Vorwurf. Aber man muss
verblendet sein, um nicht zu sehen, dass ihr ganzer Habitus Zurückhaltung
ausdrückt. Die groteske Verkehrung des ursprünglichen moralischen Sachverhalts
im Bannfluch gegen die Störerin des republikanischen Anstands ist keine
bewusste Umwertung. Um die Kopftuchträgerin als Alien im Universum der
öffentlichen Sittlichkeit zu klassifizieren, mussten die Wächter über den Zugang
zum Berufsbeamtentum unser anthropologisches Alltagswissen verlernen. Dazu
gehört auch das Wissen um den Sinn des Verhüllens. In Tücher eingehüllt wird
normalerweise das Kostbare. Die Verschleierung ist ein Indiz der Vornehmheit.
Es widerspricht also unserer Intuition, dass der Zweck des Kopftuchs, wie von
seinen feministischen Gegnerinnen behauptet, die demonstrative Herabsetzung
der Frau sein soll.
    Wo über Bekleidungssitten gestritten wird, berührt man
früher oder später die Sphäre der Intimität. Mit kulturellen Zuschreibungen
kommt man dann nicht mehr weiter. Die Innenseite der hundertfach
überdeterminierten Pflicht ist ein höchstpersönliches Bedürfnis. Hier gibt es
eine Verletzbarkeit, die man als Ausdruck eines falschen Bewusstseins erklären
und als Symptom der Schwäche verachten mag, aber damit nicht aus dem Weg
geschafft hat. Als die Kopftuchgesetze gemacht wurden, wurden ihre moralischen
Kosten nicht veranschlagt. Man nahm die Entschleierung unter die Maximen der
Staatsräson auf und gab den gut ausgebildeten Musliminnen zu verstehen, sie
sollten doch nicht so ein kapriziöses Gewissenstheater veranstalten. Fereshta
Ludin hat ausgesagt, dass sie sich ohne Kopftuch nackt fühle. Dieses Gefühl
konnten die Schulbehörde, die Gerichte, der Gesetzgeber und Alice Schwarzer
nicht widerlegen, nur verletzen. Das Kopftuchverbot ist ein Akt der seelischen
Gewalt.
    Gegen die These vom Abzeichen der Unfreiheit hätte sich,
sofern wir unseren Augen noch trauen, eine Skepsis melden müssen, die sich
wenigstens hätte erläutern lassen sollen, ob die Verbindung zwischen
Rechtsnormen weiblicher Unterordnung und dem Schleier, mit dem sich die Frau in
der Öffentlichkeit zeigt, wirklich so eng ist wie behauptet. Nach Auskunft der
Islamwissenschaft hatten die Bekleidungsregeln des Korans ursprünglich den
Sinn, die freie Frau von der Sklavin zu unterscheiden. Die Urformen des
Kopftuchs machten sichtbar, dass die Trägerin nicht rechtlos war. Müsste sich
eine spätere Verknüpfung des Bedeckungsgebots mit dem entgegengesetzten Prinzip
nicht auch wieder auflösen lassen? Mit dem Stolz auf die Kultur der Freiheit,
den die liberalen Imperialisten unter den Islamfeinden von ihren Mitbürgern
fordern, ist es bei den Einpeitschern selbst nicht weit her. Wie die
Sittenpolizisten islamischer Diktaturen in der kleinsten modischen Freiheit,
die eine Frau sich herausnimmt, satanische Dekadenz wittern, so soll
hierzulande eine Kleiderordnung eingeführt werden, deren Hüter aus
Sicherheitsgründen jede Kopftuchträgerin als Islamistin einstufen wollen. Den
bösen Anschein müsse sie sich eben zurechnen lassen.
    Wer dem Kulturrelativismus nicht verfallen ist und
wirklich an die Überlegenheit der westlichen Zivilgesellschaft glaubt, der hat
einen guten Grund für diesen Glauben in der Tatsache, dass Staaten mit
anti-westlichem Programm alle Mittel des juristischen Schreckens und der moralischen
Einschüchterung einsetzen, um die Bürger gegen westliche Kultureinflüsse
abzuschirmen. In westlichen Staaten genießt dagegen auch der Prediger ein
Rederecht, der den bevorstehenden Untergang des Westens voraussagt. Wer sich
das anhört? Nun, das entscheidet sich auf dem Markt der religiösen
Möglichkeiten, dem Basar der Hoffnungen und Ängste. Antiliberale Ideologien
stoßen in der Öffentlichkeit auf Widerspruch und im Alltag auf den Widerstand
der Lebenswirklichkeit. Die

Weitere Kostenlose Bücher