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Bahners, Patrick

Bahners, Patrick

Titel: Bahners, Patrick Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Die Panik-Macher
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größte Stärke unserer Kultur dürfte die abkühlende
und entschärfende Wirkung des Nebeneinanders von Lebensexperimenten in zivilen
Verhältnissen sein. Mag der Prophet einer Gegengesellschaft seine Feldzeichen
auf unseren Plätzen aufstellen. Er muss nur wissen: Das Ironisieren, Abkupfern,
Umdeuten und Klauen sind unsere Methoden im Krieg um die Seelen. Beizeiten
sollte er dann nachsehen, wie viele sichere Kantonisten in seinem Lager verblieben
sind. So etwa könnte jedenfalls das Selbstporträt einer liberalen Gesellschaft
in englischer Tradition aussehen. Der martialische Ruf nach Selbstbehauptung
verrät oft, wie im Wilhelminismus und eben auch im Islamismus, einen Mangel an
Selbstbewusstsein.
     
    Annette Schavans versäumte Chance
     
    Die Geschichte der Kopftuchdebatte ist eine Serie
versäumter Gelegenheiten. Mehrere Akteure wären prädestiniert gewesen,
pragmatische Lösungen zu sondieren, die sich im Schulalltag hätten bewähren
müssen und gegebenenfalls im Lichte der Erfahrung auch hätten verworfen werden
können. Die erste dieser handelnden Personen war ganz am Anfang Annette
Schavan. Bevor sie zur badenwürttembergischen Kultusministerin berufen wurde,
hatte die katholische Theologin, die mit «Studien zu Voraussetzungen,
Notwendigkeit und Erfordernissen heutiger Gewissensbildung» promoviert worden
war, das Cusanuswerk geleitet, die Studentenförderung der Bischöfe. Sympathie
mit Frauen, die sich in einer männlich dominierten religiösen Umwelt
Bildungschancen erarbeiten und im Zuge des beruflichen Aufstiegs den Glauben
nicht abstreifen, sondern als Moment des persönlichen Selbstverständnisses auch
öffentlich bekunden, musste bei ihr vorausgesetzt werden. Auch verfügt sie über
intellektuelle Mittel für den Nachweis, dass ein strenger Glaubensstandpunkt Andersgläubigen
verständlich gemacht werden kann. Die lange heftig umkämpfte Überwindung der
Konfessionsschule konnte die christdemokratische Bildungspolitik zumal in
Baden-Württemberg sich als großen Lernerfolg zugutehalten. Und schließlich
musste Frau Schavan die von Ernst-Wolfgang Böckenförde früh geäußerte Warnung
zu denken geben, dass mit dem Kopftuch die Religion überhaupt in der Schule
auf dem Spiel stand.
    Das Oberschulamt hatte Fereshta Ludin schon den Zugang zum
Referendariat verweigern wollen. Kultusministerin Schavan hob diese Entscheidung
1997 auf - unter Verweis auf das Ausbildungsmonopol des Staates.
Ministerpräsident Erwin Teufel unterstützte sie mit dem Satz, für ihn sei nicht
die Kopfbedeckung entscheidend, sondern das, was unter dem Kopftuch gedacht
werde. Diese lebenskluge Maxime der Gelassenheit bestimmte dann allerdings
nicht die Regierungspolitik, als Frau Ludin nach dem zweiten Examen die
Übernahme in den Schuldienst beantragte. Frau Schavan bestätigte den
ablehnenden Bescheid der Behörde in einer öffentlichen Erklärung. Die
Ministerin stellte die Vorbildfunktion der Lehrerin heraus und beschwor die
wachsende Bedeutung einer «auf Gegenseitigkeit beruhenden Toleranz» in einer
Epoche der religiösen Pluralität. Von der Absicht der Junglehrerin mit der
Examensnote 1,8, den Verzicht auf das Kopftuch bei muslimischen oder gar
nicht-muslimischen Schülerinnen nicht zu dulden, war allerdings nichts bekannt
geworden. Die von Frau Schavan geprägte und begründete Haltung wurde von den
Unionspolitikern fast aller westdeutschen Bundesländer übernommen. Nur die liberale
Großstadt-CDU Hamburgs brachte kein Kopftuchgesetz ein. In Schleswig-Holstein
einigte sich die Große Koalition darauf, von einem Verbotsgesetz Abstand zu
nehmen.
    Der badenwürttembergische Verwaltungsgerichtshof hatte in
seinem Ludin-Urteil festgestellt, «eine zumutbare pragmatische Lösung des
Konflikts» sei «angesichts des an Grund- und Hauptschulen vorherrschenden
Klassenlehrerprinzips» unmöglich. Das mochte als Wink zu verstehen sein: Bei
Lehrerinnen in Realschulen, Gymnasien und Berufsschulen wäre eine
Einzelfallprüfung womöglich zumutbar. Je älter die Schüler sind, desto weniger
ist zu befürchten, dass sie alles, was die Lehrerin tut, ohne Nachdenken
nachahmen. Und wenn eine Klasse auch andere Lehrerinnen hat, kann das
Missverständnis gar nicht entstehen, jede weibliche Autoritätsperson müsse ein
Kopftuch tragen. Im Gegenteil wird sichtbar, dass die Bedeckung der Haare nicht
für alle Frauen verbindlich, sondern immer das Ergebnis einer persönlichen
Entscheidung ist. Die Karlsruher Minderheit hob ebenfalls

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