Bahners, Patrick
verstoßen. Auch im
Koran steht die Geschichte vom verbotenen Baum; dort wird nicht gesagt, wer
die erste Frucht pflückte. Wie die Hochzeitsnacht begann, so endete sie. «Leman
schrie das erste Mal um ihr Leben.» Wie die Ehe begann, so blieb sie. Drei
Jahre lang, erzählt Homer, hat Penelope Nacht für Nacht wieder aufgetrennt, was
sie am Tag gewebt hatte, als Odysseus, ihr Gemahl, nicht nach Hause kam und in
der Männerwelt schon als tot galt. Dreißig Jahre lang, erzählt Neda Kelek, hat
ihre Mutter Morgen für Morgen dem Vater die Schuhe gebunden und ihm den
gemurmelten Fluch hinterhergeschickt: «Möge Allah mir deine Leiche bringen.»
Irgendwann kam er seltener und eines Tages gar nicht mehr nach Hause. Der unfromme
Wunsch ist eine Travestie des täglichen Gebets, der elementaren muslimischen
Frömmigkeitsübung.
Emanzipation von der Dissertation
Die erste der durch Abmachung der Eltern vermählten,
unvorbereitet nach Deutschland verfrachteten Frauen, die Neda Kelek in «Die
fremde Braut» zu Wort kommen lässt, trägt im Buch den Namen Zeynep. Die Autorin
hat sie in einer Moschee kennengelernt und sprechen können, an dem einzigen
öffentlichen Ort, den Frauen wie Zeynep ohne ihre Männer aufsuchen können.
Zeynep war sechzehn, als ihre Eltern sie fortgaben. Sie ließen sich für ihre
Tochter noch nicht einmal etwas zahlen. «Deutschland schien als Brautpreis
wertvoll genug. » Als der Handel perfekt war, verfügten die Eltern des
Bräutigams über das Mädchen, «wie man ein Schaf aus der Herde holt». In
Deutschland musste sie für die Großfamilie ihres arbeitslosen Mannes die
Drecksarbeit machen. Sie bekam drei Kinder und musste sich auch noch um die
drei Kinder ihrer Schwägerin kümmern. Im Gespräch in der Moschee hat Zeynep
davon berichtet, dass die Geschichte ihrer Ehe eine glückliche Wendung genommen
habe. «Jetzt sitzt sie vor mir und sagt stolz: gehe, ist alles leichter geworden. Und mir geht es viel besser. Seit die Frau
Hodscha da ist, trage ich ein Kopftuch.>» Ausführlich zählt die junge Frau
auf, was sich alles in ihrem Leben geändert hat, seit sie die
Koranlektürestunden unter weiblicher Leitung besucht und die dem Muslim
vorgeschriebenen fünf Gebete am Tag verrichtet: ihre Einstellung, ihr
Selbstbild, ihr Verhalten und das Verhalten der anderen. Sie schlägt die
Kinder nicht mehr, sondern spricht mit ihnen. Zu ihrem Mann hat sie endlich ein
gutes Verhältnis. Nicht weil sie sich mit ihren Gehorsamspflichten abgefunden
hätte - im Gegenteil: Er hört auf sie und ist auf sie angewiesen. Sie hat sich
eine Arbeitsstelle gesucht. Zusammenfassung: «Seit ich bete, bin ich eine
starke Frau.»
Zeynep besucht eine Moschee im Hamburger Schanzenviertel,
die vom staatsnahen türkischen Dachverband Ditib getragen wird. Allem Anschein
nach handelte es sich bei Neda Keleks Befragungen von Ehefrauen, die aus der
Türkei geholt wurden, zunächst um ein Anschlussprojekt nach dem Modell ihrer
Feldforschungen in Wilhelmsburg. Gesprächsprotokolle sind der empirische Kern
der Doktorarbeit. Tatsächlich drängt es sich für den Leser der Dissertation
auf, die Auskünfte Zeyneps, die die Religion ihre Rettung nennt, im Sinne der
Ergebnisse von Neda Keleks erstem Buch zu interpretieren.
Der liberale englische Historiker Thomas Babington
Macaulay charakterisiert in seinem Essay über Friedrich den Großen den
«Anti-Machiavell», die von Voltaire anonym zum Druck gebrachte Schrift des
Kronprinzen, als «eine erbauliche Predigt gegen Raubgier, Treulosigkeit,
Willkürherrschaft und ungerechten Krieg, kurz: gegen fast alles, weshalb ihres
Verfassers jetzt unter den Menschen gedacht wird». In einem ähnlichen
Verhältnis steht Neda Keleks Erstling «Islam im Alltag» aus dem Jahr 200z zur
Serie ihrer Bestseller.
Die These der Doktorarbeit lautet: Der Islam ist kein
Integrationshindernis. Im Gegenteil: Jugendliche, die das Gefühl haben, in
zwei Welten zu leben, finden in der Religion die Brücke zwischen den Erwartungen
der Herkunftskultur, die in den Familien weitergegeben werden, und den
Forderungen der deutschen Gesellschaft, in der sie ihre Zukunftschancen suchen
müssen. Nahezu alle von Neda Kelek befragten Schüler beschrieben sich als
gläubig. Das Ensemble der Praktiken und Einstellungen, die im Einzelfall unter
diesem Glauben verstanden werden sollten, musste sich jeder einzelne selbst
zusammenstellen. Im Alltag eines Schülers mit Stundenplan und
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