Bahners, Patrick
selbstverständlich der Toleranz im zivilisierten Umgang Ausdruck geben,
ohne von der Befürchtung heimgesucht zu werden, die Sache des Islam durch
Appeasement geschwächt zu haben.
Der importierte Imam
Den Leser des Kapitels über die Zukunftsvision
Wilhelmsburg entlässt Neda Kelek mit dem Wort des Imams einer Hamburger Moschee,
einer schwülstigen Beschwörung der Pflichten gegenüber der Mutter. «Wer die
Mutter verletzt, wird als ewig Verletzter verdammt sein.» Hier sollen sich, so
ist die Platzierung des Zitats zu verstehen, die unheilbaren psychosexuellen
Ursachen der muslimischen Misere zeigen. Ein Muslim kann sich nicht emanzipieren,
kann in der Gesellschaft der freien Menschen nicht ankommen, denn er darf sich
nicht abnabeln. Der Jenseitsglaube und die Mutterbindung sind untrennbar
verwachsen. In den Interviews mit den Wilhelmsburger Schülern frappiert die
Selbstverständlichkeit, mit der sie über ihre Erwartung sprechen, dass sie für
ihren laxen Umgang mit den Glaubensregeln in der Hölle werden büßen müssen.
Dass die Eschatologie diesen Platz im Alltag der jungen Muslime einnimmt, ist
wohl der markanteste Unterschied zu allem, was eine Paralleluntersuchung über
die Vorstellungswelt ihrer christlichen Mitschüler hätte herausfinden können.
Was aber in ihren Aussagen fehlt, ist jede ehrfurchtsvolle Bezugnahme auf
Predigerworte.
Die Schüler gehen nicht eben häufig in die Moschee, und
ein Imam als spiritueller Führer oder auch nur als Auskunftsinstanz wird von
niemandem erwähnt. Jeder musste mit sich selbst ausmachen, welche
Verbindlichkeit die überlieferten Normen für ihn haben sollten - aber in diesen
Klärungsprozessen hätte die Auseinandersetzung mit der Autoritätsfigur des
Vorbeters doch hilfreich sein können. Der Imam als Donnerer oder Einflüsterer,
dessen Wort Moralgesetz ist, verdankt seine prominente Rolle in Neda Keleks
Bericht aus dem türkischen Leben nicht sozialwissenschaftlicher Empirie über
dieses Leben. Unerschütterlich verbreitet er Furcht und Schrecken - bei den
Leuten, denen der Islam unheimlich ist. Dem einen oder anderen Leser, der sein
Vorwissen hier bestätigt zu sehen glaubt, mag durch den Kopf gehen, dass er für
seinen Teil sich meist nicht viel merkt, wenn der Pfarrer predigt. Aber so
unterscheidet sich eben christliche Geistesfreiheit von muslimischer
Unterwerfungskultur! In ihren regelmäßigen warnhinweisen zum Stand des
Vormarschs des Orients vergisst Neda Kelek nie zu erwähnen, dass wir nicht
wissen, was in den Moscheen gepredigt wird. Die Überwachung der Freitagsgebete
durch den Verfassungsschutz entspräche ihrer Auffassung der Trennung von
Kirche und Staat.
Im Zeichen des Widerstands
2005, im Jahr des Erscheinens von «Die fremde Braut»,
erhielt Neda Kelek für dieses Buch den Geschwister-Scholl-Preis. Satzungsgemäß
würdigten die bayerischen Buchhändler und die Stadt München das Manifest des
Kampfes gegen Brautkäufer und Wegschauer als ein Buch, «das von geistiger
Unabhängigkeit zeugt und geeignet ist, bürgerliche Freiheit, moralischen,
intellektuellen und ästhetischen Mut zu fördern und dem gegenwärtigen
Verantwortungsbewusstsein wichtige Impulse zu geben». Die meisten
Scholl-Preisträger hatten sich in ihren preisgekrönten Werken mit dem
Nationalsozialismus befasst. Dass die Jury von dieser Regel abwich, machte die
Verleihung an Neda Kelek zu einer besonders starken Aussage: Der Kampf der
Autorin gegen die Zwangsehen und gegen das, was sie als Verschwörung des
Schweigens in der Gemeinschaft der türkischen Einwanderer beschrieb, wurde in
eine Kontinuität zum Widerstand gegen Hitler gerückt. Heribert Prantl,
Innenpolitikchef der «Süddeutschen Zeitung» und Preisträger des Jahres 1994,
stellte sich in der Laudatio der heiklen Aufgabe, auf die Ratschläge des
Buches einzugehen, deren Umsetzung der bürgerlichen Freiheit einen schlechten
Dienst erwiesen hätte. Zwei Erwägungen führte der Laudator zusammen, um zu
erklären, dass das Buch Sätze enthält, die sogar dem Rezensenten Otto Schily,
einem Mann des schroffsten republikanischen Monokulturalismus, zu weit gegangen
waren. Prantl hielt Neda Kelek eine rhetorische Strategie der Dramatisierung
zugute, der kontrollierten Übertreibung. Um die Öffentlichkeit aufzurütteln,
habe sie mit Verallgemeinerungen operiert. Das große Unrecht sollte nicht
kleingeredet werden. Schrille Töne wirken fast immer unglaubwürdig - hier
nicht, weil Neda Kelek, wie Prantl zu
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