Bahners, Patrick
einem solchen
Kulturdeterminismus, so die Pointe von Renate Haas, « Kelek
nachträglich die Versöhnung mit ihrem Vater: dessen Gewaltakt wird
; er selbst ist nun einer rückständigen
muslimisch-türkischen Erziehung».
Neda Kelek zerschlägt den Familienknoten - und handelt
sich damit ein eklatantes Glaubwürdigkeitsproblem ihres politischen Programms
ein. Ehrenmord, Zwangsehe, Prügelstrafe, Ausgehverbot: Alle diese Maßnahmen
eines selbstzerstörerischen Schutzes der Familie haben nach Neda Kelek ihre
Wurzel im Islam, einem totalen Normsystem, das den einzelnen Menschen der
eingebildeten Gemeinschaft zum Opfer bringe. Daher lautet das Keleksche
Programm: Der Koran darf nicht mehr wörtliche Aufzeichnung des Wortes Gottes
sein, das Beispiel des Propheten soll nicht mehr in allen Zweifelsfällen der
Alltagsmoral konsultiert werden. Eine Säkularisierung und Aufklärung des Islam
ist kein geschichtsphilosophisches Desiderat, sondern eine politische
Forderung von höchster Dringlichkeit. Wenn aber ein gebildeter Kaufmann aus
guter Familie, ein Verehrer Atatürks, der nicht betet, nicht in die Moschee
geht und nur seiner Frau zuliebe fastet, vom Gottesstammesdenken überwältigt
wird, ohne dass er nun den Namen Gottes in den Mund nähme, welche
zivilisierende Wirkung soll dann von der Reformation des Islam zu erwarten
sein?
Selbst wenn man den Fall Duran Kelek nicht als Beleg dafür
nimmt, dass die Gewaltbereitschaft türkischer Väter noch andere kulturelle
Ursachen und Gründe hat, die vom Islam unabhängig sind, selbst wenn man Neda
Kelek in der Annahme folgt, dass hier eben die islamische Tiefenstruktur der
Kultur durchgeschlagen ist, die auch einen Weihnachtsbaumkäufer mit Weinvorrat
einholt, erheben sich ernste Zweifel an der von ihr vorgeschlagenen Abhilfe.
Neda Keleks Antwort folgt der Logik der schwarzen Pädagogik. Die Radikalkur
hat nicht angeschlagen? Dann eben noch radikaler! Renate Haas: «Die Reform
Atatürks, dessen Anhänger ihr Vater war, führt Kelek in Deutschland fort,
übertrumpft sie noch in gewisser Weise.»
Aus dem islamischen Kulturkreis
In einem Fernsehgespräch mit Peter Voß, dem früheren
Intendanten des Südwestrundfunks, lehnte es Neda Kelek im Oktober 2o1o ab, sich
als Muslimin zu bezeichnen. Dafür müsste sie sich ja zu dieser bestimmten
Religion bekennen, sie leben und praktizieren. Voß fragte nach: Das tue sie
nicht? «Das tue ich nicht. Ich gehöre zum Kulturkreis, zum islamischen
Kulturkreis vielleicht.» Voß war überrascht. Um sich ihm zu erklären, ging sie
zurück ins Paradies ihrer Kindheit. «Ich hatte das Glück, in einer Republik auf
die Welt gekommen zu sein, das war die Türkei.» Dort stellte sich die Frage
nach der Religion gar nicht. «Dass wir Muslime sind, haben eigentlich weder
meine Eltern noch ich jemals gesagt, sondern wir waren Türken.» Keine Muslime,
sondern Türken. Und so eben heute: Keine Muslimin, sondern Deutsche.
Dass Voß verwundert war, ist nicht verwunderlich. Neda
Kelek tritt gewöhnlich durchaus als Muslimin auf. In ihrem Buch «Himmelsreise»
richtet sie ihre Botschaft als Muslimin an die muslimischen Leserinnen, die sie
auffordert, das Kopftuch abzulegen. Sie widerspricht nicht, wenn sie als
gläubig beschrieben wird. Im Chat bei «Anne Will» wendet sie sich muslimischen
Fragern fast im Ton einer älteren Schwester zu: «Es liegt an uns Muslimen,
endlich den Alltag zu säkularisieren, damit der Glaube als Privates gelebt
werden kann.» Ein weiteres ihrer Bekenntnisse: «Glaube ist für mich etwas
Privates, das mir persönlich gehört, und ich würde mir auch wünschen, dass ich
in der Art, wie ich denke und glaube, auch Räume hätte und Menschen hätte, mit
denen ich das teilen könnte, aber das ist im Islam noch nicht möglich.» Sollte
man den Glauben der Erfolgsautorin nicht tatsächlich als ihre
Privatangelegenheit behandeln? Ganz so einfach geht das nicht. Neda Kelek ist
die Lieblingsmuslimin sehr vieler Deutscher, darunter vieler, die etwas zu
sagen haben. Professor
Higgins in «My Fair Lady» zerbricht sich den Kopf über die Frage: «Why can't a
woman be more like a man?» So fragen sich Politiker,
Chefredakteure und Stiftungsverwalter, tolerante Zeitgenossen, die sich endlich
Fortschritte in der Integrationsdebatte wünschen: Warum können nicht mehr
Muslime sein wie Neda Kelek?
Sie verkörpert das Telos der islamischen Aufklärung, die
man sich hierzulande wünscht und von deren
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