Bahners, Patrick
«die eigenen - und zwar wissenschaftlich abgesicherten - Erkenntnisse
mutwillig verbogen, um am Buchmarkt einen Erfolg zu landen». Die in «Die fremde
Braut» bereits mit äußerster Schärfe vorgetragenen Ansichten hat Necla Kelek in
drei weiteren Büchern verbreitet - mit der Begeisterung, Ausdauer und Ehrlichkeit
der Konvertitin.
Der Erpresser kam davon
In Interviews wurde sie gelegentlich mit der Frage nach
dem Bruch in ihrer Werkbiographie konfrontiert. Sie erzählte dann eine Fabel
von unglücklicher Assimilation: «Als ich 1997 meine ersten Interviews mit
jungen Muslimen auswertete und von neonazihaften Entwicklungen sprach, hat mir
mein Professor deutlich gemacht: So etwas darfst du hier nie wieder sagen. Es
gibt in meiner Doktorarbeit auch kritische Töne, aber ich habe meine Ergebnisse
den Vorstellungen des Instituts angepasst. Ich habe nicht geglaubt, dass etwas
anderes durchgeht.» Bei anderer Gelegenheit behauptete sie sogar, der Professor
habe explizit mit der Verhinderung der Promotion gedroht. Sie will sich also
in der Lage einer zwangsverheirateten Frau befunden haben: Opfer einer Nötigung
(§ 240 StGB: «Wer einen Menschen rechtswidrig mit Gewalt oder durch Drohung mit
einem empfindlichen Übel zu einer Handlung, Duldung oder Unterlassung nötigt,
wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.») in
besonders schwerem Fall (Abs. 4: «liegt in
der Regel vor, wenn der Täter seine Befugnisse oder seine Stellung als
Amtsträger missbraucht»), erstattete sie aus Angst keine Anzeige. Die
unüberprüfbare Story (der Beschuldigte, mutmaßlich leicht zu ermitteln, würde
ja nicht gestehen) erlaubt die Umdeutung unbequemer Tatsachen im Lichte einer
später erkannten Wahrheit, wie sie für Konversionserzählungen typisch ist. Als
Anlage zur Anklageschrift im Prozess gegen die Mafia der Integrationsoptimisten
kann «Islam im Alltag» so «Die fremde Braut» am Ende doch noch verifizieren.
Allerdings ist es wenig plausibel, wenn Neda Kelek zu
verstehen gibt, sie habe das eine oder andere Ergebnis dem angepasst, was die
Prüfer erwartet hätten. Das klingt nach Retuschen im Detail, in Anhängen
versteckten Daten und sprachlichen Konzessionen. In Wahrheit entspricht der
konsequent durchgeführte Ansatz der Untersuchung den damaligen Vorstellungen
am Hamburger Forschungsschwerpunkt Interkulturelle Bildung. Diesen Ansatz hat
sie später verworfen - und damit alle Ergebnisse der Doktorarbeit. Es gibt Versatzstücke
des theoretischen Teils, denen man wiederbegegnet, Aussagekomplexe, vor denen
jetzt das umgekehrte Vorzeichen steht. In der Doktorarbeit stellt sie die
Theorie der Soziologin Ursula Mihciyazgan vor, wonach die türkischen Muslime
ein geschlossenes, dem westlichen Denken entgegengesetztes Weltbild haben, mit
dessen Wandel unter dem Eindruck deutscher Gepflogenheiten nicht zu rechnen
ist. Mit ihrer Wilhelmsburger Empirie wollte sie diese Lehre vom unüberwindlichen
Nebeneinander widerlegen. Aber recht bald nach Drucklegung der Dissertation
muss eine innere Stimme ihr gesagt haben, was der Frankenkönig Chlodwig bei der
Taufe aus dem Mund des heiligen Bischofs Remigius gehört hatte: Bete an, was du
verbrannt hast; verbrenne, was du angebetet hast! Seitdem vertritt sie ohne
Schwanken die Mihciyazgan-Doktrin der antagonistischen Weltbilder.
Der eine Hauptsatz dieser türkischen Soziokosmologie ist
der Primat der Gemeinschaft, der andere die «vertikale Trennung» der Lebenswelt
entlang der Geschlechtergrenze. Die 1986 mit einem «intrakulturellen Vergleich
türkischer Lebensgeschichten» promovierte Soziologin Mihciyazgan hatte mit
ihren Befunden zur religiösen Praxis türkischer Migranten in Hamburg ein
Programm des Multikulturalismus begründet: Deutsche Behörden sollten mit
organisatorischen Arrangements Räume für die türkische Wertewelt schaffen,
insbesondere durch Geschlechtertrennung. Neda Kelek übernimmt die These von
der ein für allemal fixierten türkischen Mentalität und zieht die
entgegengesetzte Konsequenz.
Es gibt eine islamische Kultur, die das Denken und Handeln
auch der Muslime bestimmt, die sich nicht an Gebetszeiten und Fastenvorschriften
halten: ein mentales Erbe, das sie, wie Mihciyazgan und Kelek mit einem Begriff
der Phänomenologie sagen, als «das fraglos Gegebene» vorfinden. Diese
fundamentale Annahme der Doktorarbeit hat Neda Kelek nicht revidiert; die
Überzeugung von der determinierenden Kraft dieser Kultur ist das
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