Bahners, Patrick
Fortschritten mancher abhängig
machen will, ob der Islam weiter toleriert werden soll. Ihr Verbündeter Ralph
Giordano wiederholt unermüdlich, dass der Islam am heftigsten von Musliminnen
wie Neda Kelek kritisiert werde. Sie weiß, wovon sie spricht: Die Autorität
ihrer Islamkritik soll darin begründet sein, dass diese Kritik von innen kommt.
Als Person wird sie zum Maßstab gemacht, wobei die Einheit von Person und Sache
unterstellt wird, auf die die Gretchenfrage zielt. Es ist vor diesem
Hintergrund durchaus informativ, wo man ihre Auffassungen im weiten Spektrum
der muslimischen Traditionsauslegung und Glaubenspraxis lokalisieren kann. Aus
ihrem eigenen Mund haben wir gehört: Für die Art ihres Denkens und Glaubens
gibt es im Islam noch keinen Raum. Nirgendwo auf der Welt steht eine Moschee,
in der sie mit Muslimen verwandter Denkungsart ihren Glauben teilen könnte.
Den Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung, des deutschen
Sprachrohrs des «neuen» Atheismus nach dem Evangelium des Biologen Richard
Dawkins, hat Neda Kelek 2007 verlassen. Sie hält aber daran fest, dass die von
Darwin angestoßene Religionskritik «dem Menschen einfach gut getan» habe.
Erlebt hat sie, «dass eine Religion durchaus in einer aufgeklärten Gesellschaft
ankommen kann». Unter einer Bedingung: «Diese Religion muss die Menschen in der
Aufklärung begleiten, sie kann einfach nicht einen stumpfsinnigen Aberglauben
weitergeben.» Die Verehrung, die Neda Kelek genießt, provoziert immer wieder
den Einwurf, sie sei keine echte Muslimin. Auf dieses Argument reagiert die
säkulare Öffentlichkeit verständlicherweise höchst empfindlich. Man weiß, dass
die Apostasie nach islamischer Lehre mit dem Tod bestraft wird, und hält es
deshalb mit Grund für eine offene Frage, ob der Islam ein Recht der
Religionsfreiheit akzeptieren kann. Was es bedeutet, dass den Muslimen in
Foren wie der Islamkonferenz Frau Kelek als die Islamsachverständige des öffentlichen
Vertrauens entgegentritt, kann man sich durch einen Vergleich klarmachen. Das
Berufsbild des Islamkritikers ist dem Modell des Kirchenkritikers nachgebildet.
Lüde der Bundesinnenminister die katholische Kirche zu Beratungen über eine
Überarbeitung des Reichskonkordats ein, müssten die Bischöfe nicht damit
rechnen, in dieser Runde Hans Küng im Amt eines Sprechers der aufgeklärten
Katholiken zu begegnen. Aber selbst Hans Küng fordert nicht, wegen der
Beschränkung des Priestertums auf Männer müsse die Feier der heiligen Messe im
Geltungsgebiet des Grundgesetzes unterbunden werden.
Im November 2010 nahm Neda
Kelek in der Frankfurter Paulskirche den Freiheitspreis der
Friedrich-Naumann-Stiftung entgegen. Die Laudatio hielt Alice Schwarzer. Eine
Bloggerin, die gegen die Verleihung protestiert hatte, erhielt von der
Juryvorsitzenden, der Wirtschaftsjournalistin Karen Horn, die Antwort, die
Jury habe ihre Entscheidung einstimmig getroffen. «Hervorgehoben hat sie in
ihrer Begründung das couragierte Auftreten Dr. Neda Keleks in der Integrationsdebatte,
ihren Einsatz für die Rechte der Frau sowie den erfolgreichen Versuch von Frau
Dr. Kelek, westliche Werte und islamische Frömmigkeit/Religiosität miteinander
zu verbinden.» Mit der Synthese von Werten und Frömmigkeit war nicht bloß eine
intellektuelle Leistung der Preisträgerin gemeint, ein
religionsphilosophischer Entwurf. Der erfolgreiche Versuch (wie im Staatsexamen
oder beim Hochsprung!) soll Neda Kelek auch in ihrem Leben gelungen sein. Das
geht aus dem Wortlaut der Jurybegründung hervor: «Neda Kelek ist der lebendige
Beweis dafür, dass der Islam und der freiheitlich-demokratische Wertekanon
keine Gegensätze sind.» Ihre Vorgänger als Empfänger des alle zwei Jahre
verliehenen Preises waren Hans-Dietrich Genscher und Mario Vargas Llosa. Als
Hoffnungsträgerin wurde sie ausgezeichnet: Die Ehrung erfolgte nicht so sehr im
dankbaren Rückblick auf das, was sie getan oder geschrieben hat, als vielmehr
im optimistischen Ausblick auf das, was sie repräsentiert. Die subventionierte
Migrationsforschung steht im Verdacht der Blauäugigkeit. Mit wohlwollenden
Beschreibungen der Bildungsaussichten von Einwandererkindern begünstige sie
eine Sozialpolitik des Daumendrückens. Das Daumendrücken, das darauf setzt,
dass die Frömmigkeit, wie Neda Kelek sie meint, in irgendeiner Weise
repräsentativ ist für die Muslime in Deutschland, gilt dem Feldspieler, der
für den Torwart eingewechselt wird.
Der deutsche Pass
Das
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