Bahners, Patrick
Bedenken der Praktiker
Dreißig Einbürgerungsbehörden hatten im Zuge der
Besprechungen mit Greils Referat schriftlich Stellung genommen und überwiegend
sehr grundsätzliche Bedenken geäußert. Die Einwendungen der Fachleute der
örtlichen Behörden und die Antworten des Ministeriums in Greils ausführlichem
Protokoll sind gleichermaßen aufschlussreich. Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit
des Vorhabens ließ Grell ins Leere laufen, indem er sich auf eine interne
Perspektive zurückzog: Rechtmäßig war in der pragmatischen Sicht des Praktikers
das Verwaltungshandeln, das vor den Verwaltungsgerichten Bestand hatte.
«Natürlich weiß derzeit kein Mensch, was die Gerichte dazu sagen werden. Aber
das sollten wir in Ruhe abwarten und nicht schon vorher die Segel streichen.»
Man stelle sich vor, diese Sätze hätten im Besprechungsprotokoll eines
Dachverbandes von Moscheegemeinden gestanden, das dem Verfassungsschutz in die
Hände gefallen wäre. Thema: Muezzinruf und Lärmschutzgesetze. Den kühlen
Funktionalismus des Ausreizens gerichtlicher Spielräume hätte Grell gewiss als
Indiz mangelnder innerer Hinwendung zum Grundgesetz ausgelegt - obwohl es das gute
Recht von Privatleuten ist, das eigene Interesse gerichtlich geltend zu machen
und mit Gottvertrauen auf die letzte Instanz zu warten. In einer anderen Lage
sind Beamte auch dort, wo der Staat Prozessgegner werden könnte. Sie müssen das
Prinzip der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung als Tugend verinnerlichen. Im «Leitbild
der Landesverwaltung Baden-Württemberg», das die Stabsstelle für
Verwaltungsreform 1996 in Umlauf brachte, heißt es: «Die Mitarbeiterinnen und
Mitarbeiter sind an Recht und Gesetz gebunden. Bei ihrem Verwaltungshandeln
schöpfen sie die rechtlichen Gestaltungsspielräume aus, zeigen aber auch die
durch das Recht gesetzten Grenzen und die erwarteten Mitwirkungen auf.»
Es wurde seitens der kommunalen Ausländerämter zu bedenken
gegeben, der einzige Weg zur Enttarnung von Extremisten sei die Anfrage beim
Verfassungsschutz. Zu befürchten sei, «viele Einbürgerungswillige, die hier
friedlich sowie ordentlich mit der deutschen Wohnbevölkerung zusammenleben und
auch nicht ansatzweise islamistische Ziele verfolgen», würden «von der
Möglichkeit der Einbürgerung ausgeschlossen». Diese Einwände verkannten die
Intention des neuen Verfahrens. Das obligatorische Gespräch sollte verhindern,
«dass orthodoxe Muslime eingebürgert werden, die unsere
Werteordnung ablehnen», potentielle Unterstützer der getarnten Kämpfer eines
Heiligen Guerillakrieges. Diese Gruppe, die zi Prozent der Umfrage des
Islam-Archivs plus Dunkelziffer, ist nach Greils Kalkulationen mindestens
zwanzigmal so groß wie der Kreis der Islamisten, die der Verfassungsschutz auf
ein Hundertstel der muslimischen Bevölkerung in Deutschland schätzt. Angesichts
dieser Relation muss zunächst überraschen, dass Grell gegenüber den
Einbürgerungsbehörden erklärte, das Ministerium rechne nicht unbedingt mit
einem Anstieg der Ablehnungsquote. Für Grell kam es aber hauptsächlich darauf
an, dass das Bekenntnis mit Versicherungen über die Freiheit der
Ehepartnerwahl, des Religionswechsels und des Kleiderkaufens angereichert
wurde. Damit traf der Staat Vorsorge für die Rücknahme der Einbürgerung bei
arglistiger Täuschung. «Ein späterer Gesinnungswandel könnte bei diesen
grundlegenden Fragen schwerlich ins Feld geführt werden.» Entgeistert hielten
später die politischen Gegner der Regierung Oettinger vor, jeder halbwegs helle
Aspirant könne den Fragen entnehmen, welche Bewertung der deutschen Grundgesetznormen
und orientalischen Bräuche von ihm erwartet werde. Die Muslime mussten eine
besondere Kränkung darin sehen, dass man sie auch noch als Dummköpfe einstufte.
Das Argument der leicht erratbaren richtigen Antwort wurde Grell schon von
seinen Beamtenkollegen entgegengehalten. Er stimmte der Einschätzung zu und erklärte
laut eigenem Protokoll mit charakteristischer Nonchalance: «Wir halten das aber
nicht für tragisch.» Denn für realistisch hielt er offenbar das Szenario, dass
die Verwaltungsgerichte serienweise Aberkennungen der Staatsangehörigkeit
wegen Gesinnungsschwindels aussprechen würden.
Mehrere Fragen betrafen die Berufsfreiheit der Frauen. Die
Aussage, die Frau sei hinter dem Herd besser aufgehoben, war gemäß einer
Anweisung des Ministeriums «negativ zu bewerten», weil der Bewerber sich damit
gegen die
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