Bahners, Patrick
Gabriel unter den Koryphäen der Islamkritik eine
herausgehobene Stellung ein, die der Autor mit einem einfachen Gedanken
begründet: «Einer der besten Zeugen für ein authentisches Verständnis des Islam
dürfte jemand sein, der beide Seiten kennt: den Islam und das Christentum.» Die
Stelle des Imams soll Gabriel demnach an einer Moschee in Gizeh bekleidet
haben, sein Fach als Professor der Al-Azhar-Universität, die Grell fast
untertreibend als «eine anerkannte Autorität in islamischen (sunnitischen)
Rechtsfragen» beschreibt, soll die islamische Geschichte gewesen sein. Das
Pseudonym benutze er aus Sicherheitsgründen. Genauer muss man sagen: Mit
Sicherheitsgründen erklärt Gabriel, dass er den Namen nicht preisgibt, unter
dem er in Kairo bekannt war. Seinen neuen Namen, zusammengesetzt aus den Namen
des Evangelisten Markus und des Erzengels Gabriel, trägt er als Zeichen seiner
Bekehrung zu Jesus Christus. Im Glauben der Muslime ist Gabriel der Engel, der
dem Propheten Mohammed die Verse des Korans übermittelte. Der heilige Markus
ist der Apostel der Kopten. Mark Gabriel firmiert als Vortragender und auf
seinen Internetseiten als Dr. Mark Gabriel. Den Doktorgrad hat er an einer
christlichen Universität in Florida erworben. Seine Bücher erscheinen in
christlichen Verlagen, christliche Vereine organisieren seine Vortragsreisen,
die ihn auch nach Europa führen. Er erzählt dann die abenteuerliche Geschichte
seines Lebens.
Aufgewachsen ist er nach seinem Bericht in einer
wohlhabenden, frommen muslimischen Familie in Kairo. Mit sechs Jahren wurde er
in die Koranschule von Al-Azhar geschickt, mit zwölf Jahren konnte er den Koran
auswendig. Er stieg die Karriereleiter eines Religionsgelehrten Sprosse für
Sprosse empor, aber mehr und mehr machten ihm Widersprüche zu schaffen:
Widersprüche zwischen einzelnen Geboten des Korans und Widersprüche zwischen
dem «politisch korrekten» Islam der Professorenschaft, einer Doktrin des
Friedens und der Seelenruhe, und der Koranauslegung besonders frommer
Kommilitonen, die in terroristischen Gruppen aktiv waren. Als er Professor
geworden war, konnte er seine Zweifel nicht länger verbergen. Seine Studenten
denunzierten ihn bei der Universitätsleitung. Er gab zu Protokoll, dass er den
Koran nicht mehr als die Offenbarung des wahren Gottes betrachten könne. Ein
Professorenkollege spuckte ihn an, er wurde wegen Blasphemie entlassen und an
die Geheimpolizei gemeldet. Ein ungefähr zwanzig Mann starker Trupp in
Zivilkleidung, mit Kalaschnikows bewaffnet, drang nachts ins Haus der Familie
ein und nahm ihn fest. Er wurde eine Woche lang gefoltert, am letzten Tag im Gewahrsam
der Geheimpolizei fast von seinem Zellengenossen umgebracht, in ein reguläres
Gefängnis überstellt und nach einer zweiten Woche nach Hause entlassen. Sein
Vater, der eine Lederwarenfabrik besaß, gab ihm eine Stelle. Ein Jahr lang
lebte er ohne Religion, was ihm Kopfschmerzen bereitete. Zweimal in der Woche
besorgte er sich Kopfschmerztabletten in der Apotheke. Eines Tages gab ihm die
Apothekerin außer den Tabletten ein Buch mit - die Heilige Schrift. Zuhause
schlug er die Bibel auf, an einer beliebigen Stelle. Sein Auge fiel auf den
fünften Vers des achtunddreißigsten Kapitels des Matthäusevangeliums: «Ihr
habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge um Auge, Zahn um Zahn. Ich aber sage
euch: Leistet einem bösen Menschen keinen Widerstand. Wenn einer euch auf die
rechte Wange schlägt, dann haltet ihm auch die linke hin.»
So etwas hatte er im Koran nie gelesen. Er zitterte am
ganzen Leib, denn von Angesicht zu Angesicht sah er sich dem größten Lehrer der
Menschheit gegenüber. Die ganze Nacht las er weiter, und am nächsten Morgen
hatte er Jesus als seinen Erlöser angenommen. Fundamentalisten setzten zwei
Mörder auf ihn an, die ihm vor einem Lebensmittelladen am helllichten Tag
auflauerten. Er überlebte die Messerattacke, obwohl ihm kein Passant zu Hilfe
kam. Sein Vater, vor dem er seine Bekehrung geheim hielt, schickte ihn auf eine
Geschäftsreise nach Südafrika. Dort freundete er sich mit einer christlichen
Familie aus Indien an, die ihm zum Abschied ein Halskettchen mit einem
Kruzifix schenkte. Nach der Rückkehr stellte ihn sein Vater zur Rede, weil er
plötzlich Schmuck trug. Er musste ihm die Bedeutung des Kreuzes erklären. Sein
Vater fiel in Ohnmacht. Als er wieder zu sich kam, verkündete er seinen Söhnen,
dass er ihren Bruder, den Abtrünnigen, töten müsse. Er zog seine
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