Bahners, Patrick
werden. Über Dutzende von Seiten
hatten sich die acht Karlsruher Richter, Mehrheit und Minderheit, mit den
Motiven der Frau Ludin abgemüht! Bertrams brauchte für die Erledigung der
Sache nicht einmal zwei Blatt Din A4. Und nun sah auch sein Stuttgarter Leser
klar: Mit einem Schlag hatte sich der Nebel religionshistorischer Assoziationen
verzogen, der das Bekenntnis eingehüllt hatte. Grell hatte es mit einem
Problem zu tun, wie es ihm aus der Stabsstelle für Verwaltungsreform vertraut
war. Das Einbürgerungsverfahren hatte einen digitalen Ausgang: Entweder der
Bewerber verließ es als Deutscher oder als Ausländer. Das nachträgliche
Zusatzvotum aus Münster zum Urteil aus Karlsruhe ließ es denkbar erscheinen, auch
den Zwischenschritt der Bekenntnisfrage in binären Code zu übersetzen. Es ging
um Kompatibilität oder Inkompatibilität, letztlich um Stecker und Steckdose.
Wie halten Sie's mit der
Religionskritik?
Die Urversion des Gesprächsleitfadens, die Grell Ende
Februar 2004 fertiggestellt hatte, umfasste elf Fragen. Ursprünglich war
vorgesehen, den Einbürgerungsbehörden zusammen mit der Frageliste ein sechsundzwanzigseitiges
Papier mit Grundinformationen zum Islam zu übersenden. Im Zuge der Abstimmung
mit dem Landesamt für Verfassungsschutz, dessen zuständiger Abteilungsleiter
Herbert Landolin Müller sehr häufig von Presse und Rundfunk als
Islamismus-Experte konsultiert wird, zog Grell seine Ausarbeitung zurück. Zum
einen war er zu der Einsicht gelangt, dass die Unterscheidung von Islam und
Islamismus, die er aus Verlautbarungen der rot-grünen Bundesregierung
übernommen hatte, das Problem nicht traf. Zum anderen verständigte man sich
auf das Ziel, «theologische Auseinandersetzungen zwischen Einbürgerungsbehörden
und Antragstellern zu vermeiden». Religiöse Einstellungen sollten nicht
Gegenstand der Prüfung sein. Dennoch hatte die vierte der dreißig Fragen, die
schließlich am 19. Juli 2005 dem Minister vorgelegt und vom Amtschef genehmigt
wurden, den Wortlaut: «Wie stehen Sie zu Kritik an einer Religion? Halten Sie
diese für zulässig? Setzen Sie sich damit auseinander?» Die Fragen sollten
zunächst wörtlich vorgelesen, dann aber gemäß dem Horizont des Befragten
erläutert werden. Es war somit Sache des Sachbearbeiters, den unbeholfenen
unbestimmten Artikel in Frage Nr. 4 durch das gemeinte Possessivpronomen zu
ersetzen und den Antragsteller auf den Kopf zu fragen, wie er zu Kritik an
seiner Religion stehe.
So wurde in Baden-Württemberg die Haltung von Muslimen zur
Islamkritik ausdrücklich zum Kriterium im Einbürgerungsverfahren gemacht -
wohlgemerkt bei Personen, die im Übrigen die Anforderungen für den Anspruch
auf Einbürgerung nach acht Jahren erfüllten. Ein Hauptsatz der rigorosen
Islamkritik wurde zur Maxime staatlichen Handelns: die Vermutung, dass nur
Muslime, die den Islam kritisch betrachten und seine Reform durch
historisch-kritische Auslegung der Quellen befürworten, als Staatsbürger
geeignet sind. Wenn die Koranbuchstabengläubigen schon Deutsche sind, hat der
Staat keine Handhabe gegen ihr unaufgeklärtes Denken, selbst wenn sie es nicht
für sich behalten. Um so wichtiger war in Greils Augen die Zuständigkeit
seines Referats, die Einlasskontrolle. Wer in Deutschland, aber nicht in der
Gegenwart angekommen war, konnte abgewiesen werden, wobei Grell davon ausging,
dass ein Muslim, der seinen Verstand eingemauert hatte, häufig auch seine Frau
und seine Töchter einsperrte. In Loriots Sketch «Eheberatung» äußert Herr
Blöhmann gegenüber der Paartherapeutin Frau Dr. K. die Befürchtung, dass ihm
bei ungenauer Spezifizierung seiner Lieblingsfarbe eine unvorteilhafte
Einsortierung seitens einer auf Korrelationen fixierten angewandten Psychologie
drohe. «Doch-doch, Sie sehen nachher in so einer Tabelle nach, und da steht
dann bei : Herr Blöhmann schlägt seine Gattin.» In der von Grell
ersonnenen peinlichen Befragung konnte es Herrn Osman wie Herrn Blöhmann
ergehen. Grell hatte in den Tabellen des 1927 in Berlin gegründeten, seit 1981
in Soest ansässigen Zentralinstituts Islam-Archiv Deutschland nachgeschlagen.
Immer wieder verwies er darauf, dass 2004 in der Jahresumfrage des Archivs 21
Prozent der befragten Muslime die Frage «Glauben Sie, dass das Grundgesetz
und der Koran miteinander vereinbar sind?» verneint hatten. Der Anteil der
Befragten, die mit Ja geantwortet hatten, war gegenüber 2003 von 63 auf 67
Prozent gestiegen.
Die
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