Bahners, Patrick
zu wissen, ob sie mehr
Reformbedarf beseitigt oder geschaffen hat. Eine seiner letzten Veröffentlichungen
als Leiter der Stabsstelle deutete diese Erfahrung des Paradoxen schon im Titel
an: «Outsourcing - Ende oder Anfang aller Probleme?»
Der Landesrechnungshof monierte 2009 in einem Gutachten
für den Landtag, dass die ressortübergreifende IuK-Steuerung in der Stabsstelle
Verwaltungsreform auf Referatsebene angesiedelt war. Der Stabsstelle fehlten
die «Durchsetzungswerkzeuge». Wenn sie einer Beschaffung oder einem Vorhaben
nicht zustimme, könne das jeweilige Ministerium das Geld trotzdem ausgeben. Ein
gewisser Schlusspunkt der Verwaltungsreform wurde erreicht, als die Stabsstelle
für Verwaltungsreform infolge dieser Kritik neu organisiert wurde und ihren Namen
verlor. In einem Vortrag an der Deutschen Hochschule für Verwaltungswissenschaften
in Speyer hatte der Pensionär Grell schon am 15. Mai 2007 Bilanz gezogen.
Naturgemäß eine schonungslose. «Schminken wir uns zwei Vorstellungen ab: dass
Aufgabenkritik je zu einer spürbaren Entlastung der Verwaltung führen wird und
dass beim Bürokratieabbau jemals etwas Nachhaltiges herauskommen wird.» Zur
Begründung zitierte er das Trostwort aller frustrierten Beamten, das
sogenannte Peter-Prinzip: «In einer Organisation steigt jede Person so lange
auf, bis sie auf der Ebene ihrer Inkompetenz angekommen ist.»
Bekenntnis laut Gesetz
In seiner letzten Verwendung im Innenministerium hatte
Grell es von 2003 an mit dem Staatsangehörigkeitsgesetz zu tun, das 2000, unter
der rot-grünen Bundesregierung, geändert worden war. Es bestimmt, dass ein
Ausländer, der acht Jahre lang in Deutschland gelebt hat, auf Antrag
einzubürgern ist, sofern er sieben Bedingungen erfüllt. Die erste Bedingung
verlangt, dass er «sich zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung des
Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bekennt» und erklärt, dass er
keine Bestrebungen verfolgt, die gegen diese Grundordnung oder den Bestand des
Bundes oder eines Landes gerichtet sind. Grell hatte sein Gesetz im Kopf und
sah: Das «bekennt» in der Zeitung und das «bekennt» im Gesetzbuch passten
zusammen wie zwei Memory-Karten. Auch die Verwaltung, unreformierbar
eingezwängt zwischen «Das haben wir schon immer so gemacht» und «Das haben wir
noch nie so gemacht», hat ihre Heureka-Momente. Greils «erster Gedanke» war:
Was «für das Bekenntnis einer angehenden Beamtin nach dem jeweiligen
Landesbeamtengesetz» galt, musste «an sich auch für das entsprechende
Bekenntnis eines Einbürgerungsbewerbers zur freiheitlichen demokratischen
Grundordnung» gelten.
Nach dem badenwürttembergischen Landesbeamtengesetz konnte
damals noch nicht angenommen werden, dass eine Lehrerin mit dem Kopftuch ihre
Distanz zum Grundgesetz zu erkennen gab. Bertrams hatte das Urteil des
Bundesverfassungsgerichts kritisiert und die Landesgesetzgeber aufgefordert,
der von Karlsruhe verkannten Natur des muslimischen Kopftuchs Rechnung zu
tragen. Die Befürworter eines Kopftuchverbots in den Landtagen lehnten
Einzelfallregelungen mit dem Argument ab, eine Gewissensprüfung sei nicht
wünschenswert oder sogar unmöglich. Oft wurde auf die Abschaffung der Prüfungsausschüsse
für Kriegsdienstverweigerer hingewiesen. Grell hingegen führte für seinen
Zuständigkeitsbereich schon mit einem Erlass vom 22. Oktober 2003
Einzelfallprüfungen ein. «Das Bekenntnis des Einbürgerungsbewerbers zur
freiheitlichen demokratischen Grundordnung ist eine elementare Voraussetzung
für die Einbürgerung und deshalb mit größter Sorgfalt zu prüfen. Ein
schematisches Vorgehen wird der Bedeutung des Bekenntnisses nicht gerecht.» Die
Einbürgerungsbehörden mussten sich durch schriftliche Befragung oder «in einem
persönlichen Gespräch davon überzeugen, ob der Einbürgerungsbewerber lediglich
ein formales Lippenbekenntnis abgibt oder ob er wirklich zu seinen Worten
steht». Der Pleonasmus des formalen Lippenbekenntnisses lässt ahnen, dass
zeremonielle Umstände bei der Einbürgerung hauptsächlich der
Selbstvergewisserung des Staates dienen: Wenn die Verwaltung ausdrückliche
Bekenntnisse fordert, dann hat diese Forderung selbst die Funktion eines
Bekenntnisses, das wie von selbst eine feierliche Form annimmt.
Im Pathos steckt das Risiko der Überforderung. Das
Ministerium halste den Einbürgerungsbehörden eine anspruchsvolle Prognostik
auf. Wie wollten sie prüfen, ob ein Bewerber wirklich - wirklich! - zu
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