Bahners, Patrick
seinen
Worten stand? Man konnte den Neubürger ja nicht auffordern, für den
Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses zu spenden oder einen Antrag auf
Aufnahme in die CDU zu unterschreiben. Die Einwanderungsbehörde gibt dem
Antrag nach Paragraph 10 des Staatsangehörigkeitsgesetzes
entweder statt oder nicht. Diese aus der Regelungsmaterie folgende
Eindeutigkeit der bürokratischen Entscheidung lud Grell schon in seinem ersten
Erlass moralisch auf durch Unterschiebung eines abstrakten Ideals vom
Staatsbürger und eines ebenso abstrakten Gegenbildes. Man kann nur entweder
Deutscher sein oder nicht, ganz oder gar nicht. Der Erlass übersetzte diese
Voraussetzung des Verfahrens in die Vorgabe eines Charaktertests. Ganz
Deutscher, das sollte heißen: hundertprozentiger Deutscher. Auf der Einbürgerungsbehörde
erschien - so stellte Grell sich die Sache vor, der wahrscheinlich nie einen
Einbürgerungsantrag bearbeitet hatte - entweder ein standhafter Ehrenmann oder
ein durchtriebener Heuchler. Am sprachlichen Detail der internen Anweisung
eines übermäßig beflissenen Beamten wird eine Gefahr der Integrationsdebatte
sichtbar: übertriebene Vorstellungen vom Grad des seelischen Einklangs unter
Staatsbürgern.
Dass Loyalität mit einem für Greils weitere Bemühungen
entscheidenden Adjektiv auch «innere» Zustimmung bedeutet, ist ältester Bestand
republikanischer Theorie seit der Antike. Auch die für die Weimarer
Staatsrechtslehre so wichtige Idee der Homogenität mag man in die Sprache eines
individualistischer denkenden Zeitalters übersetzen können. Aber Greils
Bekenntnisprüfung setzt voraus, dass die demokratische Gesinnung so etwas ist
wie die deutschen Sprachkenntnisse, nur dass sich ihr Fehlen leichter
kaschieren lässt. Nach der Argumentation des Gerichtspräsidenten Bertrams war
die fromme Muslimin ohne politische Motive wie eine Verfassungsfeindin zu behandeln,
weil sie darauf bestand, in islamistischer Verkleidung in der Schule zu
erscheinen. So war bei Grell der unpolitische Neubürger nicht vorgesehen, der
seit acht Jahren oder länger friedlich in Deutschland lebte, auch die
rechtlichen Bedingungen dieses Friedens zu schätzen gelernt hatte, aber nie
auf den Gedanken gekommen wäre, sich an einem Aufsatzwettbewerb der
Bundeszentrale für politische Bildung zum Lob der Demokratie zu beteiligen.
Die wenigsten geborenen Deutschen wüssten auf Anhieb zu
nennen, was alles zur freiheitlichen demokratischen Grundordnung gerechnet wird
und was nicht. Nun muss man zu Greils Entlastung sagen, dass nicht er, der
penible Gesetzesanwender, darauf verfallen war, seelischen Tatsachen, also Zuständen,
die gemeinhin in die Kompetenz der Lyrik fallen, Relevanz im
Einbürgerungsverfahren zuzusprechen. Er berief sich auf die Gesetzesbegründung
der Regierung Schröder. Demnach wird durch das Bekenntnis des bisherigen
Ausländers zum Kerngehalt des Grundgesetzes «seine innere Hinwendung zur Bundesrepublik
Deutschland dokumentiert». In der Bildersprache des europäischen Absolutismus
war eines der beliebtesten Embleme die Sonnenblume. Wie die Sonnenblume sich
der Sonne entgegenreckt, so richtet sich der Untertan am Fürsten aus. Solche
Zuwendung braucht offenbar auch die Republik.
Vor Greils Erlass hatten sich die Behörden damit
abgefunden, dass das vom Eingebürgerten abgelegte Bekenntnis in derselben Weise
dessen innere Hinwendung zur Bundesrepublik dokumentierte wie der Kauf eines
Trikots des FC Bayern München die innere Hinwendung des Fußballfans zum
deutschen Rekordmeister. Der Text des Bekenntnisses wurde als Vordruck
bereitgehalten. Wie hätte man auch in die Kandidaten hineinsehen können? Der
F.A.Z.-Artikel von Bertrams machte die Röntgenbrille entbehrlich. Durch ihr
äußeres Verhalten, behauptete der Gerichtspräsident, ließ die verschleierte
Lehrerin sichtbar werden, dass ihr die innere Haltung für den Beamtendienst
fehlte. Sie bekannte sich «nicht ohne Vorbehalt und widerspruchsfrei zu unserer
Verfassung und ihren Werten». Alle Spekulationen über die Motivlage schob
Bertrams beiseite, indem er die Frage der Eignung für den Staatsdienst auf ein
logisches Problem reduzierte. Dieser objektivierende Zugriff dürfte den
Staatsdiener Grell an dem Satz, den er sich merkte, fasziniert haben: der mit
einem einzigen Blick vorgenommene Abgleich von Bekenntnis und Bekennerin, die
von aller Hermeneutik entlastete Protokollsprache. Vorbehalt und Widerspruch mussten
nicht eingeordnet, sondern nur festgestellt
Weitere Kostenlose Bücher